(*Eine leicht gekürzte Fassung dieses Beitrags erschien zunächst im Kulturkompass MV)

Diese Woche wird durch den unerwarteten Kollaps des syrischen Assad-Regimes in die Geschichte eingehen. Weniger geschichtsträchtig, sondern geradezu abstoßend ist hingegen, wie konservative Kräfte in Deutschland und Europa auf dieses Ereignis reagieren. Die Rauchwolken nach dem Zusammenbruch des Kartenhauses des syrischen Machthabers haben sich noch nicht gelichtet, da wird schon nach einem Stopp aller Asylverfahren von Syrern gerufen, und von den nach Deutschland und Europa geflüchteten Syrern die umgehende Rückkehr in die Heimat erwartet. Ernst zu nehmende Beobachter der Lage halten es demgegenüber noch für unklar, ob Syrien nicht (wie Libyen) das Schicksal eines „failed state“ ereilen wird.

Dass man von der AFD (und vom BSW) nichts anderes erwarten konnte, war klar. Wie geschmacklos und niederträchtig sich aber führende Kräfte in der CDU an diesem Überbietungswettbewerb ausländerfeindlicher Stimmung und Gesinnung beteiligen, ist schon atemberaubend. Es bleibt zu hoffen, dass die Rechnung der Konservativen und der Populisten nicht aufgehen wird, weil es in der Bevölkerung eben doch noch sehr viele Menschen gibt, die Anstand und Humanität nicht nur als Lippenbekenntnis auffassen.

Ach ja, was für eine Leseempfehlung aus diesem Anlass?

Da ist erstens zu erinnern an das sehr schöne Buch des in Wien lehrenden Historikers Philipp Ther. Er hat im Anschluss an und mit Bezug auf die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 eine Geschichte der Migration geschrieben. Sie zeigt uns unter vielem anderen, dass Migrationsströme (etwa in Europa im letzten Jahrhundert) noch viel größere Dimensionen hatten – und am Ende auch/dennoch bewältigt wurden. Oder, dass Migration oft zum Vorteil der aufnehmenden Gesellschaften ausging.

Zweitens sei an zwei Bücher des emeritierten Politologen Volker M. Heins erinnert. Im Corona Lockdown hat er zunächst das furiose, unsere gegenwärtigen Denkschablonen durcheinander wirbelnde Buch „Offene Grenzen“ geschrieben. Und zwei Jahre später legte er zusammen mit dem Osnabrücker Historiker Frank Wolff das Buch „Hinter Mauern“ nach. Das gehört zum selben Thema, ist aber aus mit umgekehrter Perspektive geschrieben.

Das erste Buch führt auf beeindruckende Weise vor Augen, wie elementar die Bewegungsfreiheit des Menschen zur Freiheit überhaupt gerechnet werden muss. Und dass durchlässige Grenzen keineswegs zum Kollaps aufnehmender Gesellschaften führen müssen, wie es die migrationsfeindliche Rhetorik vom Boot, das längst voll sei, suggeriert.

Dass zweite greift das Thema „Festung Europa“ auf. Diese ehemals nur rechtsextreme Nationalisten kennzeichnende Zielvorstellung ist ja leider längst ein Projekt geworden, an dem in Europa allerorten und von unterschiedlichen politischen Kräften gebastelt wird. Heins & Wolff schildern in ihrem gemeinsamen Buch, dass solche gefängnisartig gesicherten Grenzen nicht nur einen vermeintlichen Schutz vor Eindringlingen von außen darstellen, sondern dass insbesondere die Rhetorik der Gefährdung von außen einen beträchtlichen Schaden im Inneren erzeugt, also für die, die in der „Festung“ leben.

Kürzlich begegnete mir irgendwo (war es auf Blue Sky?) eine tolle Idee eines Social Media-Nutzers der selbst (oder waren es die Eltern?) nach Deutschland eingewandert war. Mit Blick auf die zunehmend feindselige Stimmungslage in Deutschland meinte er, dass alle in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund im Sinne eines Warnstreiks für einen Tag ihre Arbeit niederlegen sollten. Das wäre eine feine Sache! Dann würde endlich klar und für jeden fühlbar, wie hilfreich und wertvoll alle diese Menschen schon längst oder seit langem im Getriebe unseres Alltags sind. (Andererseits, merke ich gerade, verengt dieses Argument den Gesichtspunkt Migration auf das Nützliche. Und Schutz von Flüchtenden gewährt man ja nicht, weil es am Ende für einen selbst nützlich ist.)

Der Gegenwind durch nationalistische, undemokratische und inhumane politische Kräfte wird inzwischen immer stärker. Da ist es hilfreich, sich mit guten Argumenten und Fakten auch und gerade zum Thema Migration zu befassen, für das es derzeit außer Eindämmung und Zurückweisung keine politischen Gestaltungsspielräume zu geben scheint. Zwar lassen sich Populisten bekanntlich durch Fakten nicht beeindrucken und überzeugen, weil denen Fakten ohnehin egal sind und sie sich bei Bedarf „alternative“ Fakten basteln. Aber für einen selbst mag es in diesen stürmischen Zeiten wichtig sein, sich noch einmal zu vergewissern. Dafür sind alle drei Bücher enorm wertvoll.

Wer Näheres über die empfohlenen Bücher erfahren möchte, findet Rezensionen zu allen dreien zum Beispiel im Perlentaucher. Auf das Buch von Heins & Wolff habe ich auch auf diesem Blog bereits hingewiesen. Und auch im Deutschlandfunk lassen sich alle drei Bücher wiederfinden: das Buch von Ther hier, das Buch von Heins hier, und das Buch von Heins & Wolff hier.

“Die Außenseiter“. Von Philipp Ther (Suhrkamp Verlag)

“Offene Grenzen für alle“.  Von Volker M. Heins (Hoffmann und Campe Verlag)

“Hinter Mauern“. Von Volker M. Heins & Frank Wolff (Suhrkamp Verlag)