In der Juni-Ausgabe der Blätter für deutsche und internationale Politik erschein in deutscher Übersetzung ein Beitrag der kanadischen Autorinnen Naomi Klein und Astra Taylor, den diese im April im englischen Guardian erstveröffentlicht hatten. Dort ist er auch online weiterhin frei zugänglich. Nachfolgend eine Zusammenfassung, die zuerst im Kulturkompass MV erschienen ist

Der „Aufstieg des Endzeitfaschismus“ betitelte Aufsatz befasst sich mit zwei politischen Strömungen, die aktuell die USA dominieren und bis zur Unkenntlichkeit entstellen. Es geht auf der einen Seite um die extrem Reichen, allen voran die Tech-Milliardäre Musk, Thiel und ihre libertären Gefolgsleute. Auf der anderen Seite geht es gewissermaßen um das rechtsextreme Fußvolk, das diesen Eliten an den Wahlurnen den Zugang zur Macht verschafft hat (und auf das politische Eliten in Demokratien stets angewiesen sind).

Die Autorinnen, eine Professorin für Klimagerechtigkeit an der kanadischen Universität von British Columbia (NK) sowie eine Bürgerrechtlerin und Autorin (AT), veranschaulichen zunächst, welche Menschenbilder und Zielvorstellungen unter diesen extrem Wohlhabenden kursieren und zu erkennen sind. Darauf nimmt der gespenstisch klingende Begriff „Endzeitfaschismus“ im Titel Bezug. Denn sie zeigen, dass diese libertäre Clique extrem Reicher sich einen Begriff von Freiheit zu eigen gemacht hat, der nicht zuletzt meint, befreit zu sein von den Gesellschaften, denen sie ihr eigenes Emporkommen zu verdanken haben. Befreiung von der Gesellschaft schließt auch Befreiung von Kosten für diese Gesellschaft ein, namentlich Steuern. in grotesker Fortsetzung des von dem Philosophen Sandel gegeißelten meritokratischen Denkens sehen sich diese Eliten zudem durch ihren unermesslichen Reichtum und ihre darüber vermittelte Macht als eine Art ausgewählte Klasse, die berechtigt ist, nur an sich selbst zu denken. Zitate unterschiedlicher Protagonisten illustrieren in dem Beitrag diese hier knapp zusammengefasste Position. Auch die amerikanische Soziologin Brooke Harrington, die sich seit langer Zeit wissenschaftlich mit den Superreichen befasst, kam im Übrigen zu derselben Einschätzung: „Die Eliten lehnen mittlerweile jegliche Verpflichtung gegenüber den Gesellschaften ab, denen sie ihren Reichtum und ihrer Macht verdanken. Stattdessen nehmen sie radikal antidemokratische und antiegalitäre Positionen ein, ohne sich vor Sanktionen fürchten zu müssen“.

In Anbetracht unübersehbarer Krisen sowohl soziökonomischer Art als auch der in Zukunft wohl weiter zunehmenden großflächigen Naturkatastrophen durch den Klimawandel, sehen diese Superreichen ihr Heil nur noch in einer Art Bunker-Mentalität. Dazu brauchen nicht nur die längst in vielen Städten anzutreffenden „Gated Communities“ gezählt zu werden. Nein, man träumt (und plant!) gleich in Kategorien von „gated cities“. So etwa Prospera auf der Insel Roatán vor Honduras. Auf der kann sich einnisten und ansiedeln, wer über den nötigen Reichtum verfügt. Der Rest bleibt draußen. In Anspielung an den deutschen Soziologen Lessenich lässt sich auch hier trefflich davon sprechen: Nicht nach uns die Sintflut, sondern neben uns!

Eine extreme Variante dieser Bunker-Mentalität stellt dabei Elon Musks Flucht in das Weltall dar. Diese ist ebenfalls befeuert von einer sehr pessimistischen Einschätzung der Lage auf der Welt. Das ist auch der Grund, weshalb die Autorinnen hier von „Endzeitfaschismus“ sprechen. Es verbinde sich nämlich eine Auffassung von Gesellschaft, die systematische Wertunterschiede zwischen Menschengruppen formuliert, mit einer sehr pessimistischen, den Weltzerfall erwartenden Zukunftsvorstellung. Diese Kombination von hierarchischem Wertverständnis mit Pessimismus unterscheide den jetzt aufziehenden „Endzeitfaschismus“ auch von seinem historischen Vorläufer. Der hatte noch von einer Utopie gelebt (Eugenik, Menschenrasse veredeln und so weiter), wo es heute um ein Rette- sich-wer-kann geht.

Zu Recht werfen Klein & Taylor die Frage auf, wie es zu einem Zusammenwirken dieser Eliten mit dem rechtsextremen Fußvolk kommen kann. Denn Letzteres kann sich gerade keine luxuriösen Bunkerlebensräume leisten. Als Klammer sehen Sie hier die pessimistische Zukunftserwartung, also den Zerfall der bekannten Welt, in Verbindung mit dem Aussperren von Menschen, die als vermeintliche Bedrohung für den Erhalt des eigenen Wohlstands wahrgenommen werden. Migration wird so zum Inbegriff der Bedrohung der eigenen Welt. Und der rechtsnationale Schlachtruf, dass die Grenzen „dicht gemacht“ werden müssen, weil „das Boot“ längst voll sei, lässt auf der Lebensbühne des Fußvolks das eigene Land zu jenem Wohlstands-Bunker werden, den die wirklich Reichen sich irgendwo beschaffen oder herstellen können. Diese Ausschlussmentalität der einfachen Bürger, die in der Forderung nach Ausweisung von Migranten und Schließung von Grenzen zur Wohlstandssicherung zum Ausdruck kommt (unbesehen der Not jener, die zugewandert waren oder es noch vorhaben) wurde anderen Orts schon einmal als „Faschismus des Herzens“ tituliert, übrigens mit explizitem Bezug darauf, dass diese neuzeitliche, Version von Faschismus nicht mehr die expansive und durch Entwicklungsutopie befeuerte Dynamik des Originals habe, sondern defensiver Natur sei (Grenzen dicht!). Was Unbarmherzigkeit und Unterordnung von Lebensinteressen anderer Menschen unter die Interessen der „eigenen Leute“ anbetrifft, entspreche der neue aber dem alten Faschismus.

(Endzeit-) Faschismus oder Apartheit?

Man mag darüber streiten, ob die Einordnung als Faschismus hier (Endzeitfaschismus) wie dort (Faschismus des Herzens) gerechtfertigt ist. Möglicherweise wäre globale Apartheid oder Apartheid 2.0 passender.
Was mir aber bei dem Beitrag von Klein & Taylor zu denken gegeben hat, ist ihr Fingerzeig auf die radikal pessimistische Beurteilung der Zukunft in diesen politischen Strömungen. Es geht eben gar nicht mehr um die vermeintliche „Leugnung“ des Klimawandels, worauf wir uns bei der AfD zumeist kaprizieren. Sondern es geht um die Frage, wie auf die Katastrophe(n) des Klimawandels reagiert wird bzw. werden soll. In beiden Lagern, dem der libertären Superreichen wie bei den hier als „Fußvolk“ titulierten einfachen Bürgern lautet die Antwort: Rettung durch Ausgrenzung – und auf Kosten anderer!

Klein & Taylor sehen nicht erst in der inhumanen Vorstellung von Krisenbewältigung einen Grund zum Widerspruch. Sie thematisieren auch den Pessimismus dieser Weltsicht scharf. Denn dieser Pessimismus fasse den Kollaps der Welt als unaufhaltsam auf und fokussiere nur noch auf eigene Schadensminimierung. Das sei, so die Autorinnen, ein schändlicher Verrat an der Welt. Hier Welt verstanden als Bewahrens werte, aber im Pessimismus bereits aufgegebene Schöpfung.

„Wie können wir dieses apokalyptische Fieber brechen? Zunächst indem wir uns gegenseitig helfen, die Tiefe der Verdorbenheit zu erkennen, die die extreme Rechte in all unseren Ländern erfasst hat. Um zielgerichtet voranzukommen, müssen wir zunächst diese einfache Tatsache verstehen: Wir stehen einer Ideologie gegenüber, die nicht nur die Prämisse und das Versprechen der liberalen Demokratie aufgegeben hat, sondern auch die Bewohnbarkeit unserer gemeinsamen Welt – ihre Schönheit, ihre Menschen, unsere Kinder, andere Arten. Die Kräfte, gegen die wir ankämpfen, haben sich mit dem Massensterben abgefunden. Sie sind Verräter an dieser Welt und ihren menschlichen und nichtmenschlichen Bewohnern.

Zweitens setzen wir ihren apokalyptischen Erzählungen eine weitaus bessere Geschichte entgegen, wie wir die vor uns liegenden schweren Zeiten überleben können, ohne jemanden zurückzulassen. Eine Geschichte, die in der Lage ist, dem Endzeitfaschismus seine „gothic power“, seine dunkle Macht, zu entziehen und eine Bewegung zu mobilisieren, die bereit ist, alles für unser kollektives Überleben einzusetzen.“

Der Beitrag von Klein & Taylor ist hier kostenlos auf Englisch lesbar und hier in deutscher Übersetzung für 5,- € erhältlich.