[Ich habe heute im Kulturkompass-MV eine Rezension veröffentlicht, die hier in annähernd gleichem Wortlaut und einer etwas ausführlicheren Bewertung wiedergegeben ist].
Das Buch “Worte, die die Welt beherrschen“ des Journalisten Jörg Lau ist Anfang März auf den Markt gekommen, gerade zur rechten Zeit. Lau ist langjähriger Mitarbeiter der ZEIT, dort mit dem Schwerpunkt Außenpolitik und internationale Politik. Diese blieb zumeist im Schatten innenpolitischer Themen. Das hat sich spätestens seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine krass geändert, wie Lau im Vorwort feststellt. Der Zeitpunkt könnte also nicht besser sein, um dem Lesepublikum eine Interpretationshilfe zu geben für im Politikgeschäfte geläufige Begriffe, die Lau im Untertitel seines Buchs „Phrasen“ nennt. Viele der von ihm aufgespießten Begriffe haben derzeit Hochkonjunktur (z.B. „Diktatfrieden“ oder „Verhandlungen auf Augenhöhe“).
Das Buch ist also kein Versuch des erfahrenen Auslandskorrespondenten, uns in diesen schockierend unübersichtlichen Zeiten die Weltlage zu erklären. Stattdessen wird den Lesern entlang den von Lau ausgewählten 80 Begriffen erklärt, was es mit diesen historisch auf sich hat, wie sie zu verstehen und einzuordnen sind – und wie sie in der deutschen Außenpolitik gerne benutzt wurden und werden, um sich selbst und den Wählern die Welt schön zu reden.
Denn mitunter ist die reale Außenpolitik das Gegenteil von dem, was der Begriff zu verkörpern scheint. So etwa „feministische Außenpolitik“, zu der so überhaupt nicht passen will, dass man Afghanistan fluchtartig verlassen, und damit die dorten lebenden Frauen ihrem trostlosen Schicksal überlassen habe, meint Lau.
Das Buch lässt sich also problemlos häppchenweise lesen oder eben entlang der Begriffe, die einem gerade ins Auge springen und zu denen einen die Erklärungen von Lau interessieren. Diese 80 Begriffe spannen einen sehr weiten Bogen, sind alphabetisch geordnet, von A, wie „Abnutzungskrieg“, über G, wie „Gamechanger“, und N, wie „Nukleare Teilhabe“, bis Z, wie „Zweistaatenlösung“. Zumeist sind es knappe Texte von 1 bis 2 Seiten Länge. Sie würden gut zu einer Kolumne passen, während gerade die ZEIT nicht für knappe, pointierte Texte bekannt ist. Tatsächlich erfährt man aus dem Vorwort, dass Lau in der Zeitschrift Internationale Politik eine Kolumne unterhält, in der er sich kritisch mit Begriffen der internationalen Politik befasst. Das Gros der 80 Beiträge im Buch sei aber, wie Lau betont, extra für das Buch verfasst und nicht aus seiner Kolumne übernommen.
Wenn man seinen knappen, aber stets gut lesbaren Erläuterungen folgt, wird man zuweilen davon überrascht, wie viel Inhalt sich hinter einem Begriff verbirgt. Immerhin klingen sie durch ihre gebetsmühlenartige Verwendung in der öffentlichen Diskussion nicht selten fast wie Leerformeln. Und Lau spart auch nicht an kritischer Haltung gegenüber der deutschen Politik, was der etwas reißerische Untertitel bereits anklingen lässt: „Was die Phrasen der Außenpolitik wirklich bedeuten“. Seine Kritik bezieht sich vornehmlich auf die jahrzehntelang eingeübte Haltung, die uns durch Trump gerade als Trittbrett fahren um die Ohren geflogen ist. In dieser für die deutsche Politik (unterschiedlicher Regierungskoalitionen) prägenden Haltung erscheinen die weltpolitischen Konfliktlinien klein geredet, allen voran die zu den Großmächten Russland und China. Die wollte man mit „Wandel durch Handel“, auch so eine „Phrase“, gewissermaßen auf einen unbedrohlichen Kurs bringen. Statt dessen und trotz ernster Warnungen aus dem Ausland bugsierte man sich selbst damit in manche prekäre Abhängigkeit. Mit der rosarot gefärbten, primär handelspolitisch motivierten Sichtweise schien sich auch die Notwendigkeit überholt zu haben, eine verteidigungsfähige Armee zu unterhalten. Aus den Kürzungen und Umstrukturierungen der Bundeswehr während der letzten Jahrzehnte ergibt sich nun aber eine Situation, in der die aktuelle Bundeswehr für einen Verteidigungsfall nicht relevant einsatzbereit ist, wie es der Generalleutnant Mais zum Entsetzen der deutschen Öffentlichkeit zu Beginn des Ukrainekriegs lakonisch feststellte („stehen wir blank da“).
Meine Meinung:
Wer sich erst durch die aktuellen Großkrisen intensiver mit Außenpolitik befasst, wird von der Sammlung erläuterter Begriffe sicher profitieren.
Während Lau in der Pose der Ideologiekritik auftritt, indem er die Wahrheit hinter den „Phrasen“ aufzeigen will, enthält seine Fokussierung auf die Begriffe und die Sprache aber selbst etwas Ideologisches. Zwar mag es für jemanden naheliegen, der von Berufswegen mit Sprache zu tun hat (wie Journalisten, aber auch Politiker), die Macht der Worte hoch einzuschätzen. Aber diese Fixierung auf die Mächtigkeit der Worte, die angeblich „die Welt beherrschen“, verschleiert den eigentlich entscheidenden Umstand, dass es immer noch Interessen sind, die den Lauf der Welt bestimmen und dort den Takt angeben. Das wird uns im Übrigen gerade dieser Tage in unübersehbarer Weise vorgeführt.
Diese Überbetonung des Sprachlichen, die dann in eine Form der Vernebelung statt Aufklärung mündet, lässt sich gut an dem von Lau genüsslich vorgeführten Begriff der „feministischen Außenpolitik“ aufzeigen. Denn sein Beitrag lässt den Leser völlig im Unklaren, was es mit dieser eigentlich auf sich hat. Mag sein, dass es auch gar keine vernünftige Antwort auf die Frage gibt, was eine solche Außenpolitik denn sei. Dazu hätte man dann mindestens lesen wollen, was die Ministerin sich dabei gedacht und welchen Anspruch sie damit konkret verbunden hatte. So aber bleibt nach Laus Ausführungen, in denen er den grostesken Eindruck bedient, es sei auch der afghanischen Frauen wegen dieser Krieg geführt worden, nur die in der Tat schmähliche Diskrepanz zu den großen Worten („feministische Außenpolitik“) und einer dazu diametral kontrastierenden Realität. Das mag Kalkül gewesen sein, wie es ja sowohl in der Journalistik wie im politischen Kabarett eine gern praktizierte Art ist, die Politiker „vorzuführen“. Aber dem selbst gesetzten, nämlich kritischen Anspruch wird man damit nicht gerecht.
Dass der Afghanistan-Einsatz mitnichten der dort geknechteten Frauen wegen geführt wurde, sondern dem bislang einzigen Fall von Nato-Beistand zur Terrorbekämpfung geschuldet war (und man laut dem damaligen Bundespräsidenten „am Hindukusch unsere Freiheit verteidigen“ müsse) bleibt im Beitrag ebenso unklar wie der Umstand, dass eine Fortsetzung des deutschen Bundeswehreinsatz bei zugleich fluchtartigem Rückzug der Amerikaner völlig indiskutabel gewesen wäre. So hätte Lau auch schreiben können, dass es eine bittere Pointe der Geschichte war, dass es ausgerechnet einer Außenministerin Baerbock vorbehalten war, die ihre Politik unter das Vorzeichen der besonderen Fokussierung auf Frauen gesetzt hatte, diesen deprimierenden Abzug mit zu dirigieren und zu begleiten, mit dem das Schicksal der Frauen in Afghanistan (vorläufig) besiegelt wurde.
Damit will ich weder „feministische“ Außenpolitik oder die Arbeit von Frau Baerbock als Ministerin verteidigen. Vielmehr soll an diesem Beispiel aufgezeigt werden, dass mindestens an manchen Stellen dieses Buchs durch die auf das Sprachliche fokussierte Pose des Autors der Anspruch einer wirklich kritischen Erläuterung geläufiger Begriffe nur dem Anschein nach eingelöst wird (und stattdessen unabsichtlich aktuell verbreitete Ressentiments gegen die politische Elite bedient werden).