Oft gilt ja die Devise, keine Bücher zu besprechen, deren Lektüre man ohnehin nicht empfehlen möchte. Damit würde sich dieser Beitrag erübrigen. Denn er handelt von einem Buch, das in großen Teilen nicht lesenswert ist, aber ein Schlusskapitel hat, das bemerkenswert ist. Auch dieses reißt es aber nicht heraus. Dass ich dennoch darüber berichten möchte, hat mit einer Fußnote zu tun, die meinen Text zu etwas anderem als einer bloßen Buchbesprechung macht. Aber der Reihe nach.

Stephan Rammler, der Autor des Buchs, um das es geht, war laut Klappentext von 2002 bis 2022 Professor für Transportation Design und Social Sciences an der Universität für Bildende Künste in Braunschweig. Er lebt heute als freier Wissenschaftler und Autor in Berlin.

Professor Rammler erhielt von der Friedrich-Ebert-Stiftung den Zuschlag für die Durchführung einer Studie, mit der am Beispiel Berlins ausgearbeitet werden sollte, wie eine Großstadt sich auf die Herausforderungen konstruktiv einstellen und an diese anpassen kann, die durch den Klimawandel aufgeworfen werden. „Denn im Stadtraum zeigen sich die Auswirkungen des Klimawandels wie unter einem Brennglas: Hitze wird in der verdichteten Stadt eher gesteigert als gesenkt, die Menschen haben weniger grüne Orte, an denen sie sich abkühlen können, und während einerseits Wassermassen bei Starkregen in der versiegelten Stadtfläche nicht versickern können, leiden andererseits die Straßenbäume zumeist unter zu wenig Niederschlag“ (S. 8).

Das Buch stellt dann in gewisser Weise einen als Buch aufgemotzten Studienbericht dar, der zunächst den „Problemaufriss und Hintergrund der Fragestellung“ präsentiert (Kapitel 1), dann den Stand der Forschung zu „Klimaanpassung und urbane Resilienz“ beschreibt (Kapitel 2). Es folgen die Projektion der „transformativen Herausforderungen durch den Klimawandel“ auf die Großstadt Berlin (Kapitel 3) sowie Handlungsoptionen für „Berlin als Reallabor der Klimaadaption“ (Kapitel 4).

Wer schon einmal Projektberichte gelesen hat, dürfte wissen, wie „spannend“ und lesefreundlich diese abgefasst sind. Wem solche Texte unbekannt sind, dem sei gesagt: außer für Eingeweihte und für Leute, die für das Lesen solcher Texte bezahlt werden, ist das gar nichts! Neben einem separaten und expliziten Kapitel der „Politikempfehlungen für mehr Klimaresilienz in Berlin“ (Kapitel 6), in dem thematisch z.T. wiederholt wird, was man eigentlich vorher bereits gelesen hatte, gibt es nun aber in diesem Buch ein siebtes Kapitel, das aus dem Rahmen üblicher Studien- und Projektberichte gänzlich herausfällt. Es ist betitelt als „narratives Best-Case-Szenario“ für das „Klimabauhaus Berlin“. Darunter entpuppt sich dann konkret eine Geschichte im wörtlichen Sinne, entwickelt an der fiktiven Korrespondentin Carla Rodriguez von der Washington Post. Sie besucht und berichtet über das Berlin des Jahres 2050, weil diese Stadt durch ihre Klimaadaption gewissermaßen zu einem Leuchtturmprojekt für eine Welt geworden ist, die ansonsten unter der Klimakrise ächzt. Wie gesagt, im Buch wurde ein „Best-Case-Szenario“ gewählt, um an dieser Geschichte ein Bild vom zukünftigen Berlin zu malen, wie es sein könnte, wenn ab jetzt (also ab 2024) alles optimal liefe.

Dieses siebte Kapitel ist zwar eine witzige Idee, macht aber aus dem Buch noch längst kein lesenswertes. Auch die Annahme eines „Best-Case-Szenarios“ als Ausgangspunkt für die Geschichte mag zwar didaktisch naheliegen, ist aber ansonsten komplett unrealistisch. Dies zumindest mit Blick auf die in Deutschland und Europa bislang leidvoll praktizierte Mittelmäßigkeit und das Zaudern bei der Bewältigung von Großkrisen wie der Pandemie, der bisherigen Klimakrise, und dem auch ganz Europa betreffenden Krieg gegen die Ukraine.

Einen besonderen Pfiff bekommt das Ganze durch die erwähnte Fußnote, die mich letztendlich doch bewogen hat, das Buch dennoch hier vorzustellen.

Die Fußnote bezieht sich auf den Titel des „Best-Case-Szenarios“, und damit auf das ganze Kapitel 7, das auf anschauliche Weise die Aussicht auf eine großstädtische Bewältigung von Hitzestress, Wasserknappheit und Starkregenereignissen und so weiter simuliert. Die Fußnote macht nun aber auf eine Studie einer niederländischen Forschungsgruppe zum Zustand des Nordatlantikstroms („Golfstrom“) aufmerksam.* Die in der Studie veröffentlichten Modellrechnungen zum Golfstrom und seinen klimatischen Auswirkungen kommen zu dem Ergebnis, dass der Strom innerhalb der nächsten 70 Jahre „mit einer 95%-igen Wahrscheinlichkeit kollabieren könnte“ (S. 82). Dies werde „verheerende Auswirkungen“ insbesondere auf Nordeuropa bis Skandinavien haben und das „Wetter hier würde dem in Alaska gleichen“ (S. 82). Mit anderen Worten, in der Fußnote räumt der Autor ein, dass „es gut begründbar (wäre), die klimabezogenen Resilienzstrategien in ganz Nordeuropa komplett neu auszurichten“ (S. 82; Hvhbg. von mir).

Professor Rammler hätte im Klartext auch schreiben können: Alles, was in diesem Buch steht, wird vermutlich nicht stattfinden, sondern es geht um ganz andere Herausforderungen! Die werden, das deutet die Fußnote auch an, für Deutschland sogar noch größer sein, weil wir, ebenso wie andere europäische Länder des gleichen Breitengrades, dann mit einer europäischen Binnenmigration wegen kältebedingtem Klimastress sowohl aus Skandinavien und Großbritannien konfrontiert sein werden als auch von den Mittelmeerländern, deren Bevölkerungen nämlich – wie auch bislang projiziert – unter extremer Dürre, Wasserknappheit und Hitze leiden werden. Und auf dem Bereich, der zwischen der (neuen) Kältezone und dem noch heißer werdenden Mittelmeer liegt, also z.B. über Deutschland, Belgien usw., werden sich dann die Starkregenereignisse durch das Aufeinanderprallen der entgegen gesetzten Klimata umso mehr abspielen.

Auf dem Buchrücken heißt es über das hier vorgestellte Buch, dass es „aufrütteln, aber auch Mut machen will“. Wer es genau liest, nämlich inklusive der Fußnoten, dem kann der eigene „Mut“ geradewegs in die Tasche rutschen!

Das ist aber nicht die Botschaft, die ich mit dieser „negativen Rezension“ verbinden möchte. Vielmehr ist mir wichtig aufzuzeigen, wie sehr wir darauf gefasst sein müssen, dass die mühsam von der Wissenschaft projizierten Szenarien einer krisenhaft ins Wanken und Stolpern geratenen Welt durch neue Erkenntnisse der Wissenschaft gleich wieder über den Haufen geworfen werden können. Das wird die Neigung vieler Menschen befördern, Wissenschaftsskepsis zu entwickeln, die ihnen von Rechtspopulisten (aus eigennützigen Gründen) ohnehin nahegelegt wird.

Wir werden in sehr großem Maß die Fähigkeit benötigen und entwickeln müssen, Unwägbarkeiten und Ungewissheiten auszuhalten, obwohl diese eine existenzielle Tragweite haben. Auch das ist eine Herkulesaufgabe. Die wird nicht kleiner, wenn man „positiv denkt“ oder wenn man sich „alternative Fakten“ zurecht reimt, weil einem die Wirklichkeit (oder die projizierte Zukunft) nicht gefällt.

* Entgegen der guten wissenschaftlichen Praxis ist die Quellenangabe bei der Fußnote leider nicht eindeutig. Zwar wird von Prof. Rammler auf eine niederländische Arbeitsgruppe Bezug genommen, dann aber Inhalte angesprochen (95 %-ige Wahrscheinlichkeit usw.), die eher aus der Arbeit einer dänischen Arbeitsgruppe stammen. Daher hier beide Quelle zum Sachverhalt:

Physics-based early warning signal shows that AMOC is on tipping course | Science Advances, (Dänemark)
Warning of a forthcoming collapse of the Atlantic meridional overturning circulation | Nature Communications (Niederlande).

Zu diesem Thema und auf Deutsch findet man hier ein Interview mit dem deutschen Klimaforscher Stefan Ramsdorf, der zum Golfstrom jahrzehntelang geforscht hat und dadurch eine international renommierte Kapazität auf diesem Gebiet ist.