Vor 30 Jahren erschien, vier Jahre nach seiner Erstveröffentlichung in Frankreich, die deutsche Übersetzung eines kleinen Essays des 2019 verstorbenen Philosophen Michel Serres unter dem deutschen Titel „Der Naturvertrag“.
In diesem Text erläutert Serres, dass sich der Mensch bereits im Weltkrieg befinde, nämlich im Krieg gegen die Welt, deren Teil er doch ist, indem er sich der Welt durch Ausbeutung und Unterwerfung immer totaler bemächtige. Je mehr und je totaler (globaler) ihm dieser Krieg gegen die Natur gelänge, umso näher rücke sein eigener Untergang. Rettung für den Menschen könne nur erwachsen aus einem Friedensvertrag mit der Welt, dem Naturvertrag, indem sich der Mensch auf substanzielle Weise heraushält aus der Weltnatur und diese sein lässt.
Das Werk gilt als wichtiger Bezugspunkt zu aktuellen Strömungen, Rechte der Natur einklagbar zu machen, also gewissermaßen die Natur zum Rechtssubjekt gegen den Menschen aufzubauen, damit diese sich auch juristisch gegen ihre Ausbeutung und Schädigung durch den Menschen besser zur Wehr setzen kann (vgl. z.B. APuZ).
Das Buch von Serres beginnt mit der Schilderung eines Bildes von Goya, das zwei Duellanten zeigt, die Knie tief im Schlamm stecken. Während die Duellanten einander fixieren und in der Erwartung bekämpfen, gleich als Sieger über den anderen aus dem Duell hervorzugehen, erkenne der Betrachter dieser Szene, dass sie beide, im Treibsand steckend, dem Untergang geweiht seien.
Diese Szene, symmetrische Bedrohung in der Erwartung des sicheren Sieges, aber in Wahrheit gemeinsam dem Untergang geweiht, kommt mir seit dem 24. Februar 2022 immer wieder in den Sinn. Während die Welt im ersten Jahr der Corona-Pandemie für einen kurzen Moment noch glauben konnte, dass die Menschheit den irren Lauf der Welt würde unterbrechen und nach politischen (vernünftigen) Vorgaben würde umlenken können, was für denselben kleinen Moment die Hoffnung vermitteln konnte, es sei dann vielleicht nicht nur denkbar, sondern auch möglich, die sich rasant am Horizont abzeichnende Klima- und Weltkatastrophe noch abzuwenden, hat uns der irrsinnige Angriff Putins gegen die Ukraine schlagartig und zunehmend tiefer in eine Umlaufbahn zurück katapultiert, die dem Antagonismus des Kalten Krieges entspricht – und genau die Züge jener symmetrischen Eskalation aufweist, die Serres mit dem Bild von Goya aufscheinen lässt.
Während Putin/der Westen noch meinen, sie würden das Duell früher oder später gewinnen, sind mit dem Krieg (und insbesondere mit seinen sicherheitspolitischen Implikationen, nämlich der Remilitarisierung der Politik und der damit einher gehenden Aufplusterung von Militärausgaben, die anderen Mammutaufgaben dann fehlen werden) jene Scheuklappen wieder eng gestellt, die den Blick auf den Treibsand, in dem das Duell stattfindet, wie in einem Tunnelblick verstellen.
Jorgen Randers, der norwegische Physiker und Zukunftsforscher, der an dem 1972 erschienenen Bericht des Club of Rome damals als junger Doktorand hatte mitwirken können, mit dem der Welt erstmalig in aller Klarheit vorgerechnet wurde, was ein fortwährendes Leben über die Verhältnisse bewirken werde, hat vollkommen Recht. Er schrieb 2012 einen Bericht an den Club of Rome, in welchem er den mutmaßlichen Verlauf der nächsten 40 Jahre bis 2052 prognostizierte, nämlich vor dem Hintergrund der 40 Jahre, die seit der Veröffentlichung des ersten Berichts erfolgt waren und die dann gezeigt hatten, wie wenig die Welt mit globalen Prognosen anzufangen wusste.
In diesem Buch äußert er eine für ihn selbst hilfreich gewordene Lebensklugheit, die zugleich das Ergebnis seiner Prognose inhaltlich aufscheinen lässt, wonach man gut beraten sei, den Verlust der Welt gewissermaßen antizipatorisch zu betrauern, um wenigstens das Schöne noch sehen und genießen zu können, solange es dies noch gebe.
Ob es gewissermaßen zur globalen Kernschmelze kommen werde, nämlich einer irreversiblen, sich selbst verstärkenden Entgleisung des Weltklimas mit Temperaturen deutlich über 2,5 Grad (und katastrophalen Konsequenzen für das meiste Leben auf dem Planeten), werde sich vermutlich erst nach 2052 entscheiden. Bis dahin aber sei, so Randers, auch unter den geringeren Temperaturanstiegen bereits mit verheerenden Auswirkungen und Störungen zu rechnen, einschließlich massenhafter Migration aus Not.
Wir sind im Weltkrieg, schon lange, und unabhängig davon, ob der andere Krieg, den Putin vom Zaun gebrochen hat, sich (auch noch) zu einem Krieg ausweitet, den wir Weltkrieg nennen.
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