[Der Text wurde in leicht gekürzter Fassung am 13.1.25 unter dem Titel „Wer regiert die Welt? Die Zukunft der Demokratie“ im Kulturkompass MV veröffentlicht]

Schon seit der ersten Amtszeit von Trump 2016, und mehr noch seit seiner Wiederwahl im November 2024 wird immer deutlicher, dass die Machtstrukturen der westlichen Welt und insbesondere in den USA sich in einem Auflösungsprozess befinden. Was das Neue ist, das zum Vorschein kommt, ist noch nicht so klar. Zeitdiagnosen haben daher Konjunktur. Sie bedienen sich oftmals markanter Begriffe. Drei davon sind kürzlich ins Spiel gebracht worden, die  auf unterschiedliche Facetten der politischen Verschiebungen fokussieren.

Der neue Obskurantismus – Gegenaufklärung
Der erste Begriff, Neuer Obskurantismus, wird von der Historikerin und Publizistin Anne Applebaum eingebracht. Sie ist spätestens seit ihrer Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im letzten Jahr auch hierzulande gut bekannt. In ihrem Beitrag mit dem Titel Die neuen Rasputins, der im Februar in The Atlantic erscheint (und in ihrem Blog auf Substack schon beschrieben ist), fokussiert sie auf die atemberaubende Melange von antidemokratischen, esoterischen, antiwissenschaftlichen, und libertären Strömungen in den (rechts-) populistischen Bewegungen der Gegenwart. Diese sieht sie sowohl in den USA, als auch z.B. in Ungarn, oder auch bei dem kürzlich mit Hilfe von Manipulationen durch Russland gewählten Rumänen Călin Georgescu am Werke.

Kennzeichnend für diese politischen „Eliten“ (und abweichend von konservativen Positionen, als deren Vertreter sich die neuen aufstrebenden Eliten gerne ausgeben) sei eine Auflösung und Abschaffung wesentlicher Grundwerte, auf die eine funktionierende Demokratie angewiesen ist. Stattdessen entstehe etwas ganz anderes: „eine Gesellschaft, in der Aberglaube Vernunft und Logik besiegt, Transparenz verschwindet und die schändlichen Handlungen der politischen Führer hinter einer Wolke aus Unsinn und Ablenkung verborgen bleiben. In einer Welt, in der nur Charisma zählt, gibt es keine Gewaltenteilung, keine Rechtsstaatlichkeit, in einer Welt, in der Emotionen die Vernunft besiegen – nur eine Lücke, die jeder mit einer schockierenden und fesselnden Geschichte füllen kann“ (eigene Übersetzung).

Die Betrachtungen von Applebaum sind eher global ausgerichtet in dem Sinne, dass sie sich auf erfolgreiche populistische Strömungen der Gegenwart bezieht. Demgegenüber sind die nachfolgend vorgestellten Begriffe auf politische Prozesse in den USA bezogen (deren Auswirkungen aber gleichwohl global sein können oder werden).

Broligarchie
Mit dem Begriff der Broligarchie kennzeichnet die amerikanische Soziologin Elisabeth Brooke Harrington eine Machtstruktur durch Tech-Magnaten. Wissenschaftlich hat sie sich auf das Treiben der Superreichen spezialisiert und dazu im letzten Jahr auch ein in deutscher Übersetzung erhältliches Buch veröffentlicht.

Broligarchie sieht sie als Sonderfall der Oligarchie, was Herrschaft durch Wenige bedeutet. Der Sonderfall der Broligarchie bestehe darin, dass diese Wenigen nicht nur ihre Macht (überwiegend) aus dem Tech-Bereich gewonnen hätten, sondern auch gemeinsame (libertäre) Grundüberzeugungen teilten, wie sie in einem soeben in den Blättern für Deutsche und Internationale Politik veröffentlichten und ursprünglich in The Atlantic erschienenen Artikel hervorhebt.  Dazu gehören eine „trotzige Ablehnung jeglicher Beschränkung und jeglicher Verpflichtung gegenüber den Gesellschaften, die sie reich gemacht haben“ ebenso wie eine „politische Vision“, die darauf abzielt, „das Nationalstaatensystem weltweit zu untergraben“, nicht zuletzt durch Schwächung des Dollars vermittels Kryptowährung. „Den Dollar zu untergraben, könnte den Reichtum der Broligarchen steigern, da sie ein beträchtliches Vermögen in Kryptowährungen halten, würde aber die Vereinigten Staaten schwächen und wahrscheinlich die Weltwirtschaft destabilisieren“.

Das Schicksal der Nationalstaaten (und ihrer Gesellschaften) schert diese Superreichen im Übrigen eher wenig: ihr (Über-) Leben sehen sie nicht mehr nur in gated communities gesichert, sondern es geht dann schon um eigene Städte  bzw., wie Harrington schreibt, um „Kolonien“ für die Superreichen.

Trumpomuskovia
Der umständlich anmutende, dritte Begriff wurde durch den namhaften amerikanischen Historiker Timothy Snyder in einem Beitrag auf Substack ins Spiel gebracht. Snyder ist unter anderem durch seine Bücher Wege in die Unfreiheit und Über Tyrannei einem breiten Lesepublikum bekannt geworden. Als Historiker mit einem fachlichen Schwerpunkt auf Osteuropa und den Holocaust hat er auch wiederholt und dezidiert Partei ergriffen im Streit um die politische Einordnung des russischen Krieges gegen die Ukraine.

Sein aktueller Beitrag, in welchem er den Begriff Trumpomuskovia ins Spiel bringt, fokussiert auf vier aus der Geschichte bekannte Konstellationen und Ereignisse. Snyder betrachtet diese als Vorbilder für das, was sich in den USA unter Trump weiter zusammenbrauen könnte. „Die Geschichte wiederholt sich nicht“, sagt Snyder explizit, aber sie könnte gewissermaßen Anhaltspunkte liefern, um das Zukünftige besser (oder rascher) zu erkennen, das sich in der Gegenwart abzeichnet.

Die vier historischen Konstellationen sind: 1790 und die Aufteilung Polens durch die damaligen Großmächte Preußen, Russland und Österreich; 1840 und die aufbrechenden Sezessionskriege der USA; 1930 und die aus regulären Wahlen hervorgegangene faschistische Tyrannei der Nazis sowie die wilden 1990er Jahre des kollabierenden und libertär reorganisierten Russlands. In allen diesen Perioden sieht Snyder Spuren, die in die Gegenwart/die nahe Zukunft weisen können. Auf das Wie soll hier nicht näher eingegangen, sondern dafür nochmals auf seinen frei zugänglichen Beitrag verwiesen werden.

An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass Snyder in einem nachfolgenden Beitrag noch einmal die Wahl seines umständlichen Begriffs begründet. Und diese Begründung macht deutlich, wie Snyder die Lage einschätzt:

  1. Der Begriff lässt mit Trump und Musk die beiden in seinen Augen zentralen Player der US-amerikanischen Gegenwart anklingen.
  2. Trump betrachtet er dabei, ähnlich übrigens wie die eben erwähnte Brook Harrington, gewissermaßen als Instrument oder Medium für die libertäre Agenda von Musk und seinen Gesinnungsgenossen (die die eigentlichen Treiber sind).
  3. Der Teil „Muskovia“ in Trumpomuskovia verweist nicht nur auf Musk, dessen Name darin vollständig enthalten ist, sondern Muskovia gelte auch als eine frühere Bezeichnung für Russland. Und den Bezug auf Moskau/Russland gelte es unbedingt im Blick zu halten, wenn es um die aktuellen Player in den USA geht. Für Snyder liegt es auf der Hand, dass es eine wohlwollende Achse zwischen den amerikanischen Oligarchen (bzw. mit Harrrington gesprochen: den Broligarchen) und dem oligarchischen Russland unter Putin gibt. Snyder sieht es als sehr wahrscheinlich an, dass die Trump-Administration zur Stützung und Stabilisierung Putins (Herrschaft über Russland) führen oder beitragen werde.

Alle drei Autoren sehen die Demokratie also im Kern gefährdet. Das ist kein Zufall, denn großer Reichtum und Demokratie vertragen sich nicht von Natur aus. Immerhin könnte die Mehrheit auf die Idee kommen, die Vermögenden zu schröpfen. Das liegt zumal in Zeiten auseinanderklaffender Scheren des Reichtums umso mehr auf der Hand – und lässt die wirklich Reichen von Anderem träumen als von der (Verteidigung der) Demokratie.