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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Von Bienen, Mindestlohn, und der unsäglichen Indolenz der Menschen gegenüber der Welt, die sie bewohnen

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Für den Titel hatte ich zunächst schreiben wollen: …der Indolenz der Menschen gegenüber der Natur. Aber mit dem Philosophen Serres, auf den ich hier schon einmal hingewiesen habe, ist dem entgegen zu halten, dass Natur nach dem Anderen klingt, wie ein Objekt. Es geht aber um die vom Menschen bewohnte und benutzte Welt, zu der er selbst gehört und auf die er weiter angewiesen ist. Daher der etwas sperrigere Titel.

Und es geht hier um ein lesenswertes Interview mit Dr. Christoph Schenk, dem Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, das am 3.1.25 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt wurde.

Schenk wurde darin unter anderem gefragt, was er von einer Summe von 200.000 € für ein Glas Honig hält, die man bezahlen müsse, wenn denn die Leistung der Bienen mit dem Mindestlohn bezahlt würde. Den horrend hohen Betrag hätte Eckehardt von Hirschhausen bei seinem Bühnenprogramm ins Spiel gebracht. Und Schenk hält diese Summe für ernsthafter als es auf Anhieb erscheine! Er hätte sie „auf der Grundlage verschiedener Quellen nachgerechnet“, und sei auf einen Betrag von 150.000 € bis 190.000 € gekommen. Denn eine Biene, so die Rechnung weiter, lebe „nur sehr kurz, nämlich ungefähr 30 Tage, sie hat 30 Flugtage. Das sind ungefähr 300 Flugstunden in einem Bienenleben“. Hochgerechnet auf ein Glas Honig komme man auf 15.000 Flugstunden…

Das Beispiel erscheint als Spielerei, ist aber insofern Aufhänger für eine ernste Thematik, als es in diesem Interview unter anderem um die vom Menschen angeeignete, für ihn kostenlose Leistung der Natur geht. Die stehe aber mit der ungebremst voranschreitenden Biodiversitätskrise auf dem Spiel (und müsse dann kostspielig ersetzt werden, wenn dies denn überhaupt gelinge).

Die auch monetär bedeutsame Nützlichkeit der Natur für den Menschen ist aber nur die eine Seite, die im Interview anklingt. Eine grundsätzlichere ist die Abhängigkeit des Menschen von der (noch halbwegs intakten) Natur. So offenbare, laut Schenk, das üblicherweise und gerade aktuell auch wieder den öffentlichen Raum füllende Argument, dass man sich den „Naturschutz“ auch „leisten“ können müsse bzw. dieser wirtschaftlich nicht über Gebühr belasten dürfe, einen eklatanten Mangel an Verständnis der Gegenwart. Wohlgemerkt: nicht einen Mangel an Verständnis für die geschundene Natur, sondern einen Mangel an Verständnis der Wirklichkeit. Zu der gehöre nämlich, so Schenk, dass nicht die Wirtschaft einen Vorrang vor der Natur beanspruchen könne, sondern umgekehrt. Die Frage müsste also lauten, was und welche Art des Wirtschaftens wir uns noch leisten können, um den Bogen der Natur, zu der wir selbst gehören, nicht zu überspannen. Diese Frage drängt sich umso dringlicher auf, als wir bereits seit Jahrzehnten über unsere Verhältnisse leben, also den Bogen überspannen, was wir spätestens seit dem Bericht des Club of Rome auch wissen (können), der nun immerhin schon mehr als vierzig Jahre alt ist.

Die aktuelle Verwässerung der EU-Politik zu Gunsten kurzfristiger wirtschaftlicher Interessen sieht Schenk daher auch als ein Desaster: „Jetzt die EU-Verordnung gegen Entwaldung um ein Jahr zu verzögern ist völlig crazy. Ich meine, die Waldvernichtung ist eins unserer allergrößten Probleme. Das sind enorme CO2-Emissionen, und in den Wäldern haben wir überproportional Biodiversität. Wenn ich ein Haus habe, das in Flammen steht, fange aber erst nächste Woche an mit dem Löschen – das ist völlig absurd. Wir Menschen sind durch die Evolution trainiert auf kurzfristige Entscheidungen, wir konnten früher ja auch nicht in die Zukunft blicken. Aber heute wissen wir, welche Temperaturen wir ansteuern. Wir wissen, dass eine Million Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht sind. Wir wissen, was da alles passiert, und wir können eigentlich die Entscheidung anders treffen. Aber die Wahlen werden entschieden von Migration, Inflation, Kriegen und Wirtschaft. Die großen Krisen Klimawandel, Biodiversität und Pandemien werden gar nicht gesehen“ (Hv. G.U.).

Aufgeweckte Menschen werden viel von dem, was dieses Interview bietet, zumindest vom Grundsatz bereits kennen. Unbekannt war dagegen für mich ein Witz, der um das bekannte Thema kreist, dass die Menschen an der von ihnen verwüsteten Erde kaputt gehen könnten und würden, wenn es so weiter ginge, dass aber umgekehrt nicht die Erde am Menschen kaputt gehen werde (wohl aber die Schöpfung, die die ewig alte Evolution bis heute hervorgebracht hat). Der Witz handele „von zwei Planeten, die sich treffen, und der eine sagt zum anderen: ‚Du siehst aber schlecht aus‘. Sagt der andere: ‚Ja, ich habe die Menschheit‘. Darauf der erste: ‚Ach, mach dir keine Sorgen, das geht vorbei‘.

1 Comment

  1. Gerald Ullrich

    Das Interview entspricht in seiner Diktion im Wesentlichen der Sichtweise, die auch ein anderer führender deutscher Zoologe, Matthias Glaubrecht, vor ein paar Jahren in seinem voluminösen Buch vom „Ende der Evolution“ zum Ausdruck gebracht hat. Darin macht er darauf aufmerksam, dass die Fokussierung auf die Klimakrise unzureichend sei. Denn verheerende Auswirkungen auch für den Menschen würden durchaus noch vor den befürchteten Auswirkungen der Klimakrise dadurch stattfinden, dass es im Zusammenhang der Biodiversitätskrise zu Kettenreaktionen in ökologischen Systemen kommen dürfte, wenn nämlich Tierarten in Schlüsselpositionen in ihrem Bestand bedroht sind oder kollabieren.
    (Siehe zu Glaubrecht auch meinen Beitrag an anderer Stelle in diesem Blog https://www.med-wiss.blog/wp-admin/post.php?post=1094&action=edit)
    Beschränkt ist beider Perspektive allerdings, wie so oft (und auch bei Serres), unter einem soziologisch-gesellschaftskritischen Blickwinkel. Das gilt einschließlich der inzwischen etablierten Bezeichnung „Anthropozän“. Denn diese suggeriert, es sei „der“ Mensch, wo es de facto bestimmte Lebensweisen (und Produktionsweisen) von Menschen sind, die das Problem darstellen. Und indem die innerhalb der Menschheit herrschenden Machtverhältnisse zumeist ausgeklammert bleiben, unterschlägt der Begriff „Anthropozän“ auch den Umstand, dass nicht „die“ Menschen die drohenden Gefahren ausblenden, sondern jene, die die Macht haben, den Lauf der Dinge zu gestalten. Das sind allemal jene, die wir heute als „Oligarchen“ bezeichnen. Und sie sorgen mit ihrem Geld und ihrer Macht dafür, dass das Ausmaß der Gefahren verschleiert wird, weil ihnen das Schicksal „der“ Menschen im Zweifel egal ist, denn sie selbst sehen sich in Wohlstandsfestungen vor den drohenden Gefahren eher gefeit.

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