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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Wann sind »genesene« Corona-Infizierte wieder ganz gesund?

asd

Die Statistiken zur Corona-Pandemie weisen nicht nur die Zahl der Erkrankten, sondern auch die Zahl der Genesenen aus. Das Robert-Koch-Institut schätzt die Genesenen auf der Basis des Diagnosedatums bzw. des Entlassungsdatums aus dem Krankenhaus. Der Begriff »genesen« führt jedoch in die Irre, denn er suggeriert wiedererlangte Gesundheit. Dass die Betroffenen sich dann schon wieder gesund fühlen, ist jedoch nicht die Regel, wie neue Untersuchungen zeigen.

Eine Langzeitbeobachtung aus Italien beschreibt, wie stark die Erkrankung nach einem Krankenhausaufenthalt nachwirkt [1]. Ärzte aus Rom hatten eine Sprechstunde für ehemalige Covid-19-Patienten eröffnet. Die 143 nachuntersuchten Patienten waren im Durchschnitt 14 Tage im Krankenhaus behandelt worden, und 5 % waren maschinell beatmet worden. Durchschnittlich 60 Tage nach Beginn der Erkrankung wurden die Patienten in der Ambulanz nach eventuell noch vorhandenen Beschwerden befragt. Nur 18 Personen (13 %) hatten überhaupt keine Beschwerden, während 32 % über ein oder zwei Probleme und 55 % über drei oder mehr Symptome berichteten. Mit 53 % am häufigsten wurde eine bleierne Müdigkeit mit Erschöpfung (Fatigue) genannt. Atemnot (43 %), Gelenkschmerzen (27 %) und Brustschmerzen (22 %) waren weitere sehr häufige Symptome. Mehr als 10 % berichteten über Husten, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Mundtrockenheit und gerötete Augen. Auch die Lebensqualität wurde systematisch erfasst. Bei 44 % der Patienten war sie deutlich schlechter als vor Beginn der Covid-19 Erkrankung. Demnach litt die große Mehrheit dieser ehemals stationär behandelten Patienten noch 2 Monate später an den Folgen der Covid-19-Erkrankung.

Auch in den USA wurden Corona-Infizierte nach möglichen Krankheitsfolgen befragt [2]. Die Patienten waren ursprünglich ambulant untersucht und diagnostiziert worden. Zwei bis drei Wochen nach der Testung wurden sie von Mitarbeitern der zentralen Gesundheitsbehörde telefonisch befragt. Von den 292 Teilnehmern berichteten 35 %, dass sie noch nicht wieder so gesund waren wie vor der Corona-Infektion. Dies betraf auch junge Patienten, nämlich 26 % der 18 bis 34-jährigen und 32 % der 35 bis 49-jährigen Infizierten. Mehr als die Hälfte berichtete weiterhin über Beschwerden, am häufigsten Husten, Müdigkeit/Erschöpfung, Atemnot, Geruchs- und Geschmacksverlust, Brustschmerzen und Verwirrtheit. Das Risiko, sich weiterhin krank zu fühlen, war mehr als doppelt so hoch, wenn die Infizierten chronisch nierenkrank oder psychiatrisch erkrankt waren, oder wenn sie unter starkem Übergewicht (Adipositas) litten. Diese häufigen Folgeerscheinungen nach Covid-19 unterscheiden sich von denen der echten Grippe (saisonale Influenza), wo die große Mehrheit der Betroffenen innerhalb von 2 Wochen nach Diagnose wieder gesund sind.

Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen untersuchten einzelne Organsysteme mit speziellen Verfahren. Forscherinnen der Universitätsklinik Frankfurt überprüften mit Magnetresonanztomografien (MRTs), welche Veränderungen der Herzmuskel nach überstandener akuter Phase zeigt [3]. Dazu wurden zwischen April und Juni 100 Patienten zur Nachuntersuchung eingeladen, die im Covid-19 Register des lokalen Testzentrums erfasst waren. Im Durchschnitt waren sie 49 Jahre alt. Zwei Drittel der Teilnehmer hatten die Erkrankung zu Hause auskuriert, und 18 Personen hatten akut überhaupt keine Symptome bemerkt. Von den 33 stationär behandelten Patienten waren nur zwei maschinell beatmet worden. Die Nachuntersuchung erfolgte durchschnittlich 71 Tage nach Diagnosestellung. Die MRT-Untersuchung war bei 78 % der Patienten auffällig. Dabei fanden die Forscher bei 60 % Hinweise für entzündliche Veränderungen am Herzmuskel. Auch der Herzbeutel, das Perikard, war vielfach entzündet. Die Pumpfunktion des Herzens war im Durchschnitt leicht eingeschränkt. Offensichtlich hatte die Virusinfektion Entzündungsprozesse angestoßen, die Veränderungen am Herzen zur Folge hatten. Auch diese Patienten berichteten vielfach noch über Beschwerden, bei 36 % waren es Kurzatmigkeit und allgemeine Erschöpfung und bei 17% Brustschmerzen. Besorgniserregend war, dass die Veränderungen am Herzen nicht mit dem Schweregrad der Covid-19-Erkrankung zusammenhingen. Eine längerfristige Beeinträchtigung des Herzens ist also selbst bei Patienten häufig, die wegen Covid-19 gar nicht in die Klinik mussten.

In die gleiche Richtung weist eine Studie aus Spanien, bei der 139 erkrankte Ärzte und Krankenpfleger nachuntersucht wurden [4]. Nur 23 von ihnen mussten initial im Krankenhaus behandelt werden. Durchschnittlich 10 Wochen nach der Erkrankung hatten 42 % der untersuchten Personen Brustschmerzen, Atemnot oder Herzklopfen, und das EKG war nur bei 50 % vollkommen normal. Entzündungen des Herzmuskels oder des Herzbeutels bestanden bei 40 % der Studienteilnehmer. Dies betraf sogar Personen, die aktuell keine entsprechenden Beschwerden hatten. Zusätzlich waren im Blut spezielle Immunzellen verändert.

Auch die Lunge kann längerfristig verändert bleiben, wie eine Studie aus China an 55 Patienten zeigte [5]. Nach einem Krankenhausaufenthalt wurden diese Patienten systematisch nachuntersucht. Dabei wurden auch Computertomografien (CTs) der Lunge angefertigt und Lungenfunktionstest durchgeführt. Bei der Nachuntersuchung drei Monate nach Krankheitsbeginn waren die Patienten durchschnittlich 48 Jahre alt. Beinahe zwei Drittel der Betroffenen hatten weiterhin Symptome, vor allem Magen-Darm-Beschwerden (31 %), Kopfschmerzen, schwere Müdigkeit und Atemnot. Trotzdem waren alle wieder zur Arbeit zurückgekehrt. Die Computertomografie der Lunge zeigte bei 39 Patienten (71 %) Veränderungen in mindestens einem Lungenabschnitt. Meist handelte es sich um verhärtetes oder vernarbtes Bindegewebe (Fibrose) zwischen den Lungenbläschen und den sie umgebenden winzigen Blutgefäßen. Dementsprechend war die Funktion der Lunge bei jedem vierten Patienten ebenfalls eingeschränkt. Am häufigsten war die Diffusionskapazität verringert, was ebenfalls auf Bindegewebseinlagerungen hinweist. Bei manchen Patienten enthielt die Lunge auch weniger Luft als normalerweise. Diese ursprünglich im Krankenhaus behandelten, chinesischen Patienten hatten also 3 Monate nach Erkrankungsbeginn noch häufig mit Folgeerscheinungen an der Lunge zu tun.

Aus China wurde auch über Langzeitfolgen am Gehirn berichtet [6], und manche Experten befürchten, dass das chronische Erschöpfungssyndrom CFS (chronic fatigue syndrome) zunehmen wird [7].

Zusammengefasst machen diese und andere Studien deutlich, dass Wochen und Monate nach der eigentlichen Erkrankung noch ein beträchtlicher Teil der Patienten Beschwerden hat bzw. dass Schäden an inneren Organen wie Lunge oder Herz nachweisbar sind. Zu erwarten wären solche Komplikationen nach schwerem Krankheitsverlauf mit längerer Beatmung auf der Intensivstation. Bei Covid-19 betrifft es jedoch auch jüngere Menschen und solche mit leichterem Krankheitsverlauf. Wie lange diese Veränderungen bestehen bleiben und ob sie mit der Zeit wieder verschwinden, wird man erst durch Langzeituntersuchungen erfahren können.

Quellen

1    Carfì A, Roberto Bernabei, Francesco Landi. Persistent Symptoms in Patients After Acute COVID-19. JAMA 2020

2    Tenforde MW. Symptom Duration and Risk Factors for Delayed Return to Usual Health Among Outpatients with COVID-19 in a Multistate Health Care Systems Network — United States, March–June 2020. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2020; 69

3    Puntmann VO, M. Ludovica Carerj, Imke Wieters, et al. Outcomes of Cardiovascular Magnetic Resonance Imaging in Patients Recently Recovered From Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). JAMA Cardiol 2020

4    Eiros R, Manuel Barreiro-Perez, Ana Martin-Garcia, et al. Pericarditis and myocarditis long after SARS-CoV-2 infection: A cross-sectional descriptive study in health-care workers: A cross-sectional descriptive study in health-care workers. medRxiv 2020: 2020.07.12.20151316

5    Zhao Y-m, Yao-min Shang, Wen-bin Song, et al. Follow-up study of the pulmonary function and related physiological characteristics of COVID-19 survivors three months after recovery. EClinicalMedicine 2020; 0 (100463)

6    Lu Y, Xuanxuan Li, Daoying Geng, Nan Mei, et al. Micro-Structural Changes in COVID-19 Patients – An MRI-based 3-month Follow-up Study. EClinicalMedicine 2020; 0 (0)

7    Speth A. Droht nach der Corona- die CFS-Pandemie? Experten befürchten, dass die Häufigkeit durch SARS-CoV-2 stark ansteigt. Medscape 2020

2 Comments

  1. Wolfgang Voss

    Danke Gratiana,
    auch wir lesen Deine so gut recherchierten Beiträge mit größtem Interesse!
    Immer fundiert und relevant!
    Wolfgang & Sunhild

  2. elkebothe@yahoo.de

    Liebe Gratiana,
    das bestätigt unsere Vorsicht. Es ist für uns außer Frage, sich weiter möglichst aktuell zu informieren. Dazu gehört euer toller Blog.
    Vielen Dank
    Elke und Herwig

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