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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Wichtig für den Herbst: Corona-Übertragung in Innenräumen vermeiden

asd

Die Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt hat am 12. August 2020 eine Stellungnahme zur Übertragung von SARS-CoV-2-Viren veröffentlicht [1]. Die wesentlichen Aspekte der gut verständlichen Abhandlung möchte ich kurz zusammenfassen.

Infizierte übertragen das Coronavirus in winzigen Tröpfchen, die beim Atmen, Sprechen oder Singen mit dem Ausatemstrom in die Umgebung gelangen. Die Viren selbst haben einen Durchmesser von etwa 0,15 µm (Mikrometer, das ist ein Tausendstel Millimeter). In der Umgebungsluft schrumpfen die Flüssigkeitströpfchen und werden dabei so klein, dass sie viele Minuten, manchmal sogar Stunden, in der Luft schweben können. Draußen ist das meistens kein Problem, weil die Luft ständig in Bewegung ist und der Wind die Tröpfchen verdünnt. In Innenräumen, die nicht gelüftet werden, würden sich virusbeladene Mini-Tröpfchen (Aerosole) im ganzen Raum verteilen. Je mehr Menschen anwesend sind und je länger sie die Luft im Raum einatmen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass auch Corona-Viren dabei sind.

Während im Sommer viele Aktivitäten an der frischen Luft stattfinden und man auch Freunde im Garten oder Park trifft, verlagert sich das gesellschaftliche Leben in der kühleren Jahreszeit wieder zurück in Innenräume. In Deutschland verbringen Menschen etwa 80-90% der Zeit drinnen, sei es zu Hause, bei der Arbeit, in der Schule, in der Freizeit oder auf dem Weg dorthin.

Der Aufenthalt in Innenräumen bringt eine erhöhte Ansteckungsgefahr für Atemwegsinfektionen mit sich. Daher ist effektives Lüften enorm wichtig. Man muss versuchen, die Viren in der Luft zu verdünnen und sie wieder aus dem Raum hinaus zu befördern.

In den meisten Häusern, Wohnungen und Schulen erfolgt das Lüften durch Öffnen der Fenster. Je mehr Frischluft zugeführt wird, umso besser.

Experten drücken das Ausmaß der Lüftung mit der Luftwechselrate aus. Wird die gesamte Luft im Raum einmal pro Stunde ausgetauscht, ist die Luftwechselrate = 1. Wenn z.B. ein 20 m² großes Zimmer eine Raumhöhe von 2,50 hat, ist die auszutauschende Luftmenge im Raum 50 m³. Üblicherweise wird diese Rate aber nicht erreicht, sondern die Luftwechselrate bei geschlossenen Fenstern beträgt nur ein Drittel bis ein Hundertstel des Raumvolumens pro Stunde, abhängig vom Alter und der Bauweise des Gebäudes.

Die Kommission Innenraumlufthygiene macht folgende Vorschläge für das Lüften zuhause:

  • Ein effektiver Luftaustausch wird durch eine Stoßlüftung über mindestens 15 bis 20 Minuten (im Winter kürzer) erreicht.
  • Beim Querstromlüften über geöffnete Fenster an gegenüberliegenden Seiten des Zimmerns dauert es meist nur wenige Minuten.
  • Sind viele Personen im Raum (z.B. Familienbesuch) empfiehlt es sich, während der gesamten Besuchsdauer zu lüften.

Für Klassenzimmer mit 20 bis 30 anwesenden Schülern empfehlen die Experten

  • in jeder längeren Unterrichtspause alle Fenster weit zu öffnen,
  • wenn zwischen zwei Schulstunden nur eine kurze 5-Minuten Pause liegt, auch während der Unterrichtsstunde zu lüften, ebenso im Fall von Doppelstunden.
  • Als Anhaltspunkt dafür, ob ausreichend gelüftet wurde, bieten sich CO2-Messgeräte an (siehe früherer Blogbeitrag). Die im Raum gemessene Kohlendioxid-Konzentration sollte unter 1.000 ppm bleiben.
  • Für Klassenräume nicht empfohlen werden mobile Luftreinigungsgeräte mit HEPA-Filtern (hochabscheidenden Schwebstofffiltern), die Anwendung von UV-Licht oder Ozon

Für Räume, in denen Menschen gemeinsam Sport treiben, gilt:

  • Bei körperlicher Aktivität muss intensiver gelüftet werden, denn man atmet schneller und tiefer und setzt daher mehr Tröpfchen und Aerosole  in den Raum frei
  • Beim Sport werden Luftwechselraten von 5 und mehr pro Stunde empfohlen.

Ein weiteres Thema sind Gebäude, die mit Klimaanlagen ausgestattet sind, der Fachbegriff lautet raumlufttechnische Anlage (RLT-Anlage). Sie befördern verbrauchte Luft nach draußen (Abluft) und führen dem Raum frische Luft von außen zu (Zuluft). RLT-Anlagen können mit und ohne Klimatisierung arbeiten, also den Raum zusätzlich kühlen bzw. erwärmen oder für die optimale Luftfeuchtigkeit sorgen.

Optimal wäre es, wenn die RLT-Anlage dem Raum möglichst viel Frischluft zuführen würde. Allerdings sind die Anlagen häufig anders eingestellt: dann wird der Zuluft Abluft beigemengt, die durch Filter hindurch und dann zurück in den Raum geführt wird (Umluft). Lüftungsanlagen mit hohem Anteil von Umluft können eine Gefahrenquelle darstellen, weil sich ausgeatmete virushaltige Aerosole darin mit der Zeit immer stärker anreichern. Das wird in dreistufigen Filteranlagen mit HEPA-Filtern verhindert, die auch extrem kleine Partikel aus der Umluft entfernen und die „gereinigte“ Luft in den Raum zurück führen. Allerdings sind solche dreistufigen Anlagen außerhalb von Krankenhäusern (OP-Sälen) nur selten anzutreffen.

Bestehende RLT-Anlagen in Büros, Restaurants oder Veranstaltungshallen haben meist nur zwei Filterstufen. Diese genügen nicht, um virushaltige Teilchen zurück zu halten. Das Nachrüsten einer dritten Filterstufe mit HEPA-Filtern wäre wünschenswert, ist aber technisch aufwändig. Daher empfiehlt die Kommission:

  • Können zweistufige Filteranlagen nicht nachgerüstet werden, muss zusätzlich über die Fenster gelüftet werden.
  • Alle RLT-Anlagen müssen regelmäßig von Fachpersonal gewartet werden.
  • Sie sollen so eingestellt werden, dass die Luftfeuchtigkeit zwischen 40% und 60% liegt.

Generell gilt: wenn sich mehrere Menschen in Innenräumen treffen, sind Maßnahmen wie

  • Abstandsregeln einhalten und  
  • Mund-Nasen-Bedeckungen tragen
  • nur dann ausreichend wirksam, wenn gleichzeitig für einen angemessenen Luftaustausch gesorgt wird

Quelle

1           Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt, Moriske H-J et al. Das Risiko einer Übertragung von SARS-CoV-2 in Innenräumen lässt sich durch geeignete Lüftungsmaßnahmen reduzieren: Stellungnahme der Kommission Innenraumlufthygiene am Umweltbundesamt. Dessau-Roßlau 12. August 2020. Im Internet: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/2546/dokumente/irk_stellungnahme_lueften_sars-cov-2_0.pdf

3 Comments

  1. Wolfgang

    Vielen Dank für den informativen Artikel.
    Hast du eigentlich Zahlen, wie viele Viruspartikel man aufnehmen muss, um sich höchstwahrscheinlich anzustecken?
    Gruß aus dem Süden
    Wolfgang

    • Gratiana Steinkamp

      Beim Coronavirus ist die Infektionsdosis noch nicht genau bekannt. Experten meinen, dass die Größenordnung bei einigen Hundert bis wenigen Tausend infektiösen SARS-CoV2-Viruspartikeln liegt. Eine Minute lautes Sprechen erzeugt mindestens 1000 virushaltige Tröpfchenkerne.
      Offenbar spielt es keine Rolle, ob diese Virusmenge mit einem einzigen tiefen Atemzug eingeatmet wird oder erst nach 100 Atemzügen.
      Dass solche winzigen Tröpfchen tatsächlich lebendes Virus enthalten, das in der Zellkultur zu einer Infektion führt, haben Forscher aus Florida am 4. August veröffentlicht (Lednicky etal.). Sie fanden im Krankenzimmer eines Covid-19-Patienten bis zu 74 lebende Coronaviren pro Liter Luft. Und das, obwohl die Klimaanlage die Luft 6mal pro Minute umwälzte und mit einer 3-stufigen Filteranlage ausgestattet war, die 75% aller Partikel mit einem Durchmesser von 0,3 µm entfernte.

  2. Wolfgang Voss

    Liebe Gratiana,
    super zusammengefaßt, extrem überzeugend, völlig logisch…….
    wenn es nur umgesetzt wird!!!

    Lieben Gruß
    Sunhild & Wolfgang

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