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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Wie wirksam und verträglich ist der mRNA-Impfstoff von BioNTech?

asd

Am 10. Dezember 2020 publizierte eine internationale Forschergruppe die Ergebnisse zur hervorragenden Wirksamkeit des neuen Impfstoffs des Mainzer Unternehmens BioNTech in einem renommierten Wissenschaftsjournal, dem New England Journal of Medicine [1]. Experten bewerten die Ergebnisse als Meilenstein der Impfstoffforschung und als bedeutend für den Verlauf der Pandemie. Dass nur 11 Monate nach Entdeckung des SARS-CoV-2 Virus ein hochwirksamer Impfstoff verfügbar ist, ist ein Triumph der Wissenschaft.

Der Studienplan war umfangreich: Mehr als 43.000 Erwachsene ab 16 Jahren nahmen am Studienprogramm teil. Die meisten der 152 Studienzentren lagen in den USA (130), die übrigen Teilnehmer lebten in Argentinien, Brasilien, Deutschland, Südafrika und in der Türkei. Da Covid-19 bei 60-Jährigen 100mal tödlicher ist als bei 20-Jährigen, wurde darauf geachtet, genügend ältere Menschen zu rekrutieren: immerhin 42 Prozent der Teilnehmer hatten ein Alter zwischen 55 und 91 Jahren. Die Studienteilnehmer durften eine chronische Krankheit haben, sofern diese stabil und gut kontrolliert war. Nicht dabei waren Patienten mit medikamentös unterdrücktem Immunsystem oder mit Erkrankungen der Körperabwehr.

Zur Impfung erhielten die Probanden nach dem Zufallsprinzip entweder den BioNTech-Impfstoff oder ein wirkungsloses Plazebo in den Oberarmmuskel gespritzt, und zwar zweimal im Abstand von drei Wochen. Dabei wussten weder Proband noch Arzt, ob die Impfspritze den Impfstoff oder das Plazebo enthielt. Direkt nach der Injektion wurden die Patienten 30 Minuten überwacht, um akute Reaktionen beobachten zu können. Nach der Impfung besuchten sie das Studienzentrum in bestimmten Intervallen für Routinekontrollen und Blutentnahmen.

Auf die Dokumentation der Sicherheit des Impfstoffs legten die Forscher besonderen Wert. Daher baten sie eine Untergruppe der Teilnehmer, regelmäßig ein elektronisches Tagebuch zu führen. Darin wurde regelmäßig abgefragt, ob Reaktionen an der Impfstelle zu spüren waren und ob Symptome auftraten wie beispielsweise Fieber, Kopf-, Muskel- oder Gelenkschmerzen. Der Studienplan sah auch Kriterien zum vorzeitigen Abbruch der Studie vor für den Fall, dass es relevante Probleme mit der Verträglichkeit des Impfstoffs geben würde. Ein unabhängiges Expertengremium überwachte den Verlauf der Studie.

Wie wirksam der Impfstoff ist, wurde daran gemessen, wie viele Probanden ab 7 Tage nach der zweiten Impfung an Covid-19 erkrankten, also nachdem sie das vollständige Impfprogramm durchlaufen hatten. Sie mussten die typischen Beschwerden haben, um erfasst zu werden. Außerdem musste gleichzeitig das Coronavirus im Nasenabstrich nachgewiesen werden. Schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle wurden ebenfalls registriert. Dagegen wurde nicht ausgewertet, ob es möglicherweise asymptomatische, also komplett beschwerdefreie Infektionen gegeben hat.

Insgesamt 18.860 Personen wurden zwischen Juli und November 2020 mit dem mRNA-Impfstoff geimpft und konnten bereits über zwei Monate nachbeobachtet werden. Die anderen Studienteilnehmer hatten als Kontrollgruppe einen wirkungslosen Scheinimpfstoff (Plazebo) gespritzt bekommen. Die Ergebnisse zeigten eine hervorragende Wirksamkeit des Impfstoffs nach zwei Injektionen von 95%. Das war ein unerwartet gutes Resultat. Die Behörden hätten sich nämlich schon mit 50% Wirksamkeit zufrieden gegeben, um den Impfstoff zuzulassen. Dies entspricht in etwa dem Bereich, den man von der Grippe-Impfung erwartet. In der Studie waren von den insgesamt 170 Covid-19-Erkrankungen nur 8 in der geimpften Gruppe aufgetreten, dagegen 162 bei Placebo-Empfängern. Alle Altersgruppen wurden gleich gut durch die Impfung geschützt, und weder Geschlecht noch Ethnie, Vorerkrankungen oder Übergewicht beeinflussten die Wirksamkeit. Zusätzlich konnte der Impfstoff schwere Krankheitsverläufe verhindern, denn nur einer der neun schwer Erkrankten war in der mRNA-Gruppe.

Eine weitere Überraschung ergab die Auswertung der drei Wochen zwischen der ersten und der zweiten Impfung: bereits 12 Tage nach der ersten Dosis war die Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffs klar zu erkennen. Während in den ersten elf Tagen in beiden Gruppen ähnlich viele Covid-19-Fälle verzeichnet wurden, traten zwischen Tag 12 bis Tag 21 (zweite Impfung) in der mRNA-Impfstoff-Gruppe viel weniger Erkrankungen auf als in der Plazebo-Gruppe (siehe Abbildung 3 in der Originalarbeit). Für die drei Wochen nach der ersten Dosis wurde die Wirksamkeit des Impfstoffs nach nur einer Injektion mit 52% berechnet.

Wie sah es nun mit der Verträglichkeit der Impfung aus? In den Tagen nach der Impfung berichteten mehr Probanden aus der mRNA-Gruppe über Schmerzen, Rötung und Schwellung an der Impfstelle als mit Plazebo behandelte. Jüngere Menschen hatten häufiger mit Schmerzen zu tun als Personen über 55 Jahre. Nach der zweiten Injektion wurden diese unangenehmen Effekte etwas häufiger beobachtet als nach der ersten. Mehr als die Hälfte der Jüngeren klagten über Müdigkeit und/oder Kopfschmerzen; in der Plazebo-Gruppe waren es weniger (23 bzw. 24 Prozent). Gut ein Drittel der Impfstoffempfänger verspürte Muskelschmerzen und Schüttelfrost, deutlich mehr als die Kontrollpersonen (8 bzw. 4 Prozent). Diese körperlichen Beschwerden ähneln einer Covid-19-Erkrankung. Sie zeigen an, dass der Körper auf die Impfung antwortet. Nach ein paar Tagen waren diese Erscheinungen wieder verschwunden. Über so ausgeprägte Müdigkeit, dass sie ihren Tagesaktivitäten nicht nachgehen konnten, klagten 4% der Impfstoffempfänger. Das ist ein größerer Anteil als nach Influenza-Impfung, aber vergleichbar mit einer Impfung gegen Gürtelrose. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten in beiden Behandlungsgruppen ähnlich selten auf (0,6 bzw. 0,5%). Insgesamt sechs Studienteilnehmer starben, davon vier in der Plazebo-Gruppe; die beiden Todesfälle nach mRNA-Impfstoff-Gabe waren als Herzstillstand bzw. Atherosklerose dokumentiert.

Welche Fragen kann diese Auswertung nicht beantworten? Bisher wurden die Probanden nur durchschnittlich zwei Monate nachverfolgt, und nur knapp 19.000 dieser Personen hatten den mRNA-Impfstoff erhalten. Seltene Nebenwirkungen, die bei 0,01% der Geimpften auftreten, können so nicht sicher erfasst werden. Dazu braucht es noch größere Stichproben und längere Nachbobachtungszeiten. Nach der Zulassung des Impfstoffs wird daher die Sicherheit der Impfung sorgfältig weiter überwacht, und etwaige Zwischenfälle werden zeitnah gemeldet und kommuniziert. Nicht bekannt ist bisher, ob durch die Impfung die asymptomatische Infektion verhindert werden kann, ob also gesund erscheinende Geimpfte trotzdem mit dem Coronavirus infiziert sein und andere Personen anstecken können. Daher muss man trotz zweimaliger Impfstoffgabe weiterhin Abstand halten und Maske tragen, um andere Menschen zu schützen. Antikörpertest im Blut, die noch asugewertet werden müssen, werden die Frage der asymptomatischen Infektion in absehbarer Zeit beantworten können. Auch Resultate der Impfung von Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 15 Jahren werden noch erwartet. Schwangere wurden bisher nicht geimpft und auch keine Patienten mit Immunsuppression.

Zusammengefasst ist die überraschend gute Wirksamkeit des neuen mRNA-Impfstoffs von 95% ein beeindruckender Fortschritt in der Kontrolle der Pandemie, besonders auch für ältere, stärker gefährdete Menschen. Direkt nach der Impfung treten wie bei anderen Impfungen gegen Viruserkrankungen unangenehme Reaktionen auf, die einige Tage dauern können und offenbar etwas stärker ausgeprägt sind als nach einer Influenza-Impfung. Wer sich impfen lässt, sollte mit diesen Begleiterscheinungen rechnen und sich vergegenwärtigen, dass sie nicht etwa eine Erkrankung anzeigen, sondern die Wirkung der Impfung. Es könnte sich anbieten, am Tag nach der Impfung einen freien Tag einzuplanen [2].

Literatur

1     Polack FP et al. Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N Engl J Med 2020

2     Weiland N, Zimmer C. Pfizer’s Vaccine Offers Strong Protection After First Dose. The New York Times 2020

3 Comments

  1. Brigitte Hirschhausen

    Dieser Artikel ist so gut verständlich,dass ich ihn oft geteilt habe. In der nachfolgenden Diskussion könnte ich eine Impfskeptikerin aus dem Gesundheitswesen dazu bringen darüber neu nachzudenken sich impfen zu lassen,wie sie sagte.
    Danke und mehr davon.
    LG Brigitte

  2. Wolfgang

    Wieder ein hochwertiger Steinkamp’scher Extrakt von bemerkenswerten Studienergebnissen, vielen Dank dafür.
    Eine Verständnisfrage von mir: du schreibst, die Impfreaktionn seien nach der zweiten Impfung geringer, trotzdem empfiehlt die New York Times nach der zweiten Impfung einen Tag frei zu nehmen?
    Ich bin auch sehr beeindruckt, was der Forschung (u.a. durch offenere weltweite Zusammenarbeit) gelungen ist.
    Wolfgang

    • Gratiana Steinkamp

      Dank an Wolfgang für den Hinweis auf die nicht ganz logische Feststellung zum Frei nehmen nach der Impfung! Ich habe diesen Abschnitt geändert.

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