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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Würde eine Impfdosis erst mal ausreichen?

asd

Für die beiden mRNA-Impfstoffe von BioNTech/ Pfizer und von Moderna sind zwei Impfungen im Abstand von drei bzw. vier Wochen vorgesehen, um einen optimalen Schutz zu erzielen. Nun legen Studiendaten nahe, dass bereits 12 bis 14 Tage nach der ersten Impfdosis eine beträchtliche Wirkung einsetzt.

Infolgedessen haben die Soziologin Zeynep Tufekci und der Epidemiologe Michael Mina überlegt, ob die zweite Dosis erst später verabreicht werden könnte, um mit dem knappen Impfstoff schnell doppelt so viele Menschen vor einer Covid-19-Erkrankung schützen zu können [1].

Nach der Zulassung der Impfstoffe möchten sich weltweit Hunderte Millionen Menschen möglichst sofort impfen lassen, jedoch gibt es nicht annähernd genug Impfstoff. Deshalb wurde auch für Deutschland festgelegt, welche Bevölkerungsgruppen in welcher Reihenfolge geimpft werden sollen.

Im Juli 2020 hatte die amerikanische Zulassungsbehörde FDA eine Wirksamkeit von mindestens 50 Prozent als Voraussetzung für eine Zulassung von Impfstoffen gegen Covid-19 genannt [2]. Der BioNTech Impfstoff besitzt nun sogar eine Wirksamkeit von 95%, ein hervorragendes und unerwartetes Ergebnis [3]. Der zweite in den USA zugelassene mRNA-Impfstoff von Moderna liegt im selben Bereich [4, 5]. Diese Studienergebnisse übertrafen die kühnsten Erwartungen von Experten.

Weitere Überraschungen förderten die Studienauswertungen zwischen erster und zweiter Impfdosis zutage. Mit dem BioNTech Impfstoff war ein klarer Schutz ab dem 12. Tag nach der ersten Impfdosis zu erkennen. Moderna berichtete, dass ab 14 Tage nach der ersten Impfdosis bis Tag 28, an dem die zweite Impfdosis verabreicht wird, bereits ein Schutz von 92% erkennbar war. Das heißt, das Immunsystem bildet schon vor der zweiten Impfdosis einen starken Schutz gegenüber Covid-19 aus, und schon diese Wirksamkeitsrate liegt deutlich über der ursprünglichen Vorgabe der FDA.

Bei anderen Impfungen werden die zweiten Dosen nicht schon drei oder vier Wochen nach der ersten Impfung verabreicht, sondern mit deutlich größerem Abstand. Beispiele dafür sind die Impfungen gegen Masern und gegen Gürtelrose. Wenn man wüsste, dass bei der Corona-Impfung ein guter Schutz über eine Dauer von z.B. sechs Monaten gewährleistet wäre, würde es ausreichen, die zweite Impfdosis bis dahin zu verschieben. So könnte man mit dem knappen Impfstoff im ersten Halbjahr 2021 doppelt so viele Menschen impfen und schützen.

Die Autoren schlagen vor, diese Möglichkeit in einer neuen Studie zu überprüfen, während das normale Impfprogramm wie geplant weiterläuft. Man könnte junge Menschen mit sehr geringem Risiko für eine schwere Covid-Erkrankung für eine Studie gewinnen, z.B. junge Mitarbeiter im Gesundheitssystem. Sie erhielten die erste Impfdosis wie geplant und hätten danach bereits einen Schutz. Die Studie würde sich auf die zweite Impfdosis beziehen: die eine Hälfte der Freiwilligen würde wie geplant die zweite Impfdosis bekommen, die andere Hälfte erhielte ein Plazebo, also eine Spritze ohne Wirkstoff. Dann würde man vergleichen, wie viele Krankheitsfälle in den beiden Gruppen mit und ohne zweite Impfung vorkommen und wann sie auftreten. So könnte man feststellen, wie lange die Wirkung der ersten Dosis anhält. Die Studie ließe sich sehr schnell durchführen angesichts von fast 600.000 neuen Corona-Fällen pro Tag weltweit.

Der mögliche gesellschaftliche Nutzen positiver Studienergebnisse wäre enorm, denn mit dem vorhandenen Impfstoff könnten doppelt so viele Menschen von einem schnellen Schutz profitieren wie bisher geplant. Für den Einzelnen würde die zweite Impfdosis auf einen späteren Termin verschoben, so dass ab Sommer oder Herbst 2021 der noch stärkere Impfschutz erreicht wäre. Und auf Bevölkerungsebene würde die Pandemie noch effektiver zurückgedrängt, wenn der vorhandene Impfstoff möglichst schnell möglichst vielen Menschen zugute käme.

Literatur

1    Tufekci Z, Mina M. Can We Do Twice as Many Covid-19 Vaccinations? The New York Times 2020

2    Heidt A. FDA to Require 50 Percent Efficacy for COVID-19 Vaccines. The Scientist Magazine 2020

3    Polack FP et al. Safety and Efficacy of the BNT162b2 mRNA Covid-19 Vaccine. N Engl J Med 2020

4    Moderna. Vaccines and Related Biological Products Advisory Committee December 17, 2020 Meeting Briefing Document

5    Grady, Denise, Wu, Katherine J. F.D.A. Panel Endorses Moderna’s Coronavirus Vaccine. The New York Times 2020

3 Comments

  1. Ck

    Wie immer ein sehr interessanter Artikel und ein vielversprechedes Studiendesign. Da aktuell in vielen Krankenhäusern zweimal wöchentlich ein screening Abstrich erfolgt, müsste für die Studie auch kein großer Mehraufwand betrieben werden. Junge Mitarbeiter würden dadurch auch keinem höheren Risiko ausgesetzt als ohnehin, da diese vermutlich im Impfplan keine besonderen Priorität haben. Zudem ist bei dem aktuellen Infektionsgeschehen auch in Deutschland mit einer ausreichenden Zahl an Infektionen zu rechnen um eine signifikante Aussage treffen zu können.

    • Gratiana Steinkamp

      Dank an Ck für diese Anregung und Fortführung des Studiengedankens! Und noch dazu würde mit seinem Vorschlag die Frage beantwortet, ob auch asymptomatische Infektionen nach einer Impfdosis seltener auftreten als in der Kontrollgruppe. In der Phase-3-Studie von BioNTech/ Pfizer wurde ja nur nach klinisch symptomatischen Erkrankungen geschaut.

    • Gratiana Steinkamp

      Einen Vorschlag, wie man eine Studie klug konzipieren könnte, hat Patrick Skerrett in STAT am 4. Januar 2021 publiziert (Link). Lesenswert! Und mit Parallelen zu den hier in den Kommentaren diskutierten Aspekten.

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