Wer im Februar 2020 mit dem chinesischen Hochgeschwindigkeitszug G-Train unterwegs war und eine Stunde lang direkt neben einem Corona-Infizierten saß, hatte ein Risiko von 3,5%, sich anzustecken. Dies ergab die Auswertung von mehr als 2.000 chinesischen Covid-Patienten, die in den zwei Wochen vor ihrer Erkrankung mit der Bahn gefahren waren [1].

So akribisch wie die Forscher aus China und Großbritannien diese Daten erhoben und ausgewertet haben, wäre es in Deutschland gar nicht möglich. Denn man benötigte exakte Informationen darüber, wer von wann bis wann zwischen welchen Bahnhöfen und auf welchem Sitzplatz im Zug gesessen hatte. Diese anonymisierten Angaben kamen direkt von der Chinesischen Bahn.

Doch der Reihe nach.

Zuerst identifizierten die Forscher erkrankte Covid-19-Patienten, die in den vorausgegangenen 14 Tagen mit einem G-Train gefahren waren. Das Untersuchungsintervall lag zwischen dem 19. Dezember 2019 und dem 6. März 2020. Für die Zugfahrten wurden als „enger Kontakt“ diejenigen Mitreisenden erfasst, die irgendwann während der Fahrt eine bis drei Reihen entfernt von dem Patienten gesessen hatten. Im G-Train sind die Sitze wie im Flugzeug in Reihen angeordnet. Jede Reihe hat drei Plätze links und zwei Plätze rechts, die durch einen 60 cm breiten Mittelgang getrennt sind. Ob Familienmitglieder nebeneinander gesessen hatten, wurde nicht erfasst.

Ausgewertet wurden 2.334 Patienten, die als bereits ansteckende Menschen im Zug engen Kontakt zu insgesamt 72.093 Personen hatten. Die gemeinsame Reisezeit lag zwischen 8 Minuten und knapp 14 Stunden und betrug im Mittel 2,1 Stunden. Nach den Bahnfahrten der Infizierten wurde bei 234 Mitreisenden eine Corona-Infektion festgestellt, die man auf die Zugfahrt zurückführte. Wird diese Zahl dividiert durch alle Kontaktpersonen, ergibt sich die Befallsrate („attack rate“). Sie lag im G-Train durchschnittlich bei 0,32%, wobei sie sich stark danach unterschied, wie lange man gemeinsam mit dem Infizierten im Waggon gesessen hatte und wie weit die Sitze voneinander entfernt waren. Wer eine Stunde lang direkt neben dem Infizierten saß, hatte ein 3,5%iges Risiko sich anzustecken, während die Befallsrate in derselben Reihe vier Sitze entfernt nur noch ein Zehntel davon betrug. Auch eine Reihe vor oder hinter dem Patienten war das Risiko deutlich geringer. Zusätzlichen Einfluss hatte die gemeinsame Reisezeit. Von den Kontaktpersonen, die 8 Stunden lang auf dem Nachbarsitz gesessen hatten, infizierten sich rund 10 Prozent. Im Durchschnitt stieg das Infektionsrisiko um 0,15% pro zusätzlicher Stunde Fahrzeit und für direkte Sitznachbarn sogar um 1,3%.

Angesichts der berechneten Befallsraten halten die Autoren einen Abstand von mehr als einem Meter für erforderlich, wenn eine Zugreise nur 1 Stunde dauert. Für Bahnfahrten bis zu 3 Stunden müssten nach ihrer Auffassung in einer Reihe mindestens zwei Plätze zwischen Reisenden freigehalten werden, um das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus zu verringern.

Zusammengefasst belegt diese Forschungsarbeit, dass Reisende sich im Hochgeschwindigkeitszug mit dem Coronavirus anstecken können, sofern eine infizierte Person nah genug im selben Wagen sitzt. Direkt neben dem Infizierten kann das Risiko bei sehr langen Zugfahrten auf 10 % steigen. Das mag gering erscheinen, aber man muss diese Zahl vergleichen mit der „üblichen“ Befallsrate von Haushaltskontakten, denn nur etwa 15 % der Familienmitglieder stecken sich bei einem infizierten Mitbewohner an [2]. Aus der Studie geht leider nicht hervor, ob die Passagiere Mund-Nasenschutz getragen haben (auch in China waren Masken damals knapp). Züge der G-Serie sind zwar mit Klimaanlagen ausgestattet [3], doch auch zur Effizienz des Luftaustausches machen die Autoren keine genauen Angaben. Vermutlich unterscheidet sich die Situation im deutschen ICE nicht grundlegend vom chinesischen Hochgeschwindigkeitszug.

Nach diesen Ergebnissen sind persönliche Schutzmaßnahmen im Zug wichtig, um sich vor einer Infektion zu schützen: Masken tragen (Risikopersonen eventuell sogar FFP2-Masken), möglichst viel Abstand zu anderen Passagieren halten und Handhygiene praktizieren. Wie hoch das Risiko ist, im Zug auf einen Infizierten zu treffen, hängt vom allgemeinen Infektionsgeschehen ab. In Corona-Zeiten sollte man durchaus überlegen, welche privaten Reisen mit der Bahn nötig sind, besonders solche über mehrere Stunden.

Quellen

1   Hu M, Lin H, Wang J, et al. The risk of COVID-19 transmission in train passengers: An epidemiological and modelling study. Clin Infect Dis 2020. Im Internet: https://academic.oup.com/cid/advance-article/doi/10.1093/cid/ciaa1057/5877944

2   Drosten C. NDR Info: Coronavirus Podcast Folgen 1 bis 36. Im Internet: https://www.ndr.de/nachrichten/info/coronaskript174.pdf

3   Tian H-Q. Review of research on high-speed railway aerodynamics in China. Transportation Safety and Environment 2019; 1 (1): 1–21. Im Internet: https://academic.oup.com/tse/article/1/1/1/5556026