Seit ein paar Jahren betätige ich mich neben meiner psychotherapeutischen Praxis auch als Psychoonkologe im hiesigen onkologischen Zentrum der Helios Kliniken Schwerin. Dass Krebs sich immer mehr ausbreite, höre ich während meiner Gespräche mit Patienten sehr oft. Aber stimmt das überhaupt?

Jüngst berichtete das Deutsche Ärzteblatt in Kurzform über eine soeben veröffentlichte Studie einer Mailander Gruppe von Wissenschaftlern, die seit 2011 regelmäßig Daten auswertet, um daraus Prognosen für die zu erwartenden krebsbedingten Sterbefälle in Europa zu berechnen. Dies wird getrennt nach den großen, wichtigen Krebsarten vorgenommen und getrennt nach Männern und Frauen. Auch das Robert Koch Institut hatte in seinem großen Bericht („Krebsgeschehen in Deutschland“) bereits auf Daten dieser Art zurückgegriffen und sie für die häufigen Krebsarten zusammengestellt.

In der gerade zur Veröffentlichung freigegebenen Studie der Mailänder Autoren wird auf Lungenkrebs fokussiert, aber es werden auch noch neun weitere Krebsarten (u.a. Darm, Brust, Pankreas, Prostata, Magen) differenziert betrachtet. Die Autoren berechneten Schätzwerte für Krebstote in 2023, die mit den tatsächlichen Krebstoten des Jahres 2018 verglichen werden, also für einen 5-Jahres-Zeitraum. Sie verglichen den Trend nicht nur hinsichtlich der Krebsarten und der beiden Geschlechter, sondern überprüften auch, ob Trendunterschiede zwischen den fünf bevölkerungsreichsten Ländern der EU sowie Großbritannien bestanden.

Das vielleicht verblüffendste Ergebnis lautet: Für die meisten Krebsarten resultieren im fünfjährigen Zeitverlauf günstige Trends im Sinne einer Abnahme der Krebstoten. Dies gelte nicht in absoluten Zahlen, denn die seien zum Teil gestiegen, wohl aber unter Berücksichtigung des gestiegenen Durchschnittsalters in den jeweiligen Bevölkerungen. Schon lange weiß man, dass das Risiko für eine Krebserkrankung mit dem Alter steigt, und zwar sehr deutlich etwa ab 60 Jahre (vgl. hierzu auch den erwähnten Bericht des Robert Koch Instituts).  Es braucht mit anderen Worten eine Alterskorrektur, also die Berücksichtigung des Altersfaktors, um bei einer alternden Bevölkerung verlässliche Aussagen hinsichtlich eines Trends zu bekommen (Zu- oder Abnahme von Krebserkrankungen?).

Eine solche alterskorrigierte Rate der Todesfälle durch Krebserkrankung  zeigt nun einen sehr deutlichen und günstigen Trend bei den Männern (-6,5%), in etwas abgeschwächter aber auch bei den Frauen (-3,7%).

Während man für die meisten der hier untersuchten Krebsarten eine kontinuierliche Abnahme der Todesfälle über die Zeit erwartet, gibt es (wie fast immer) auch Ausnahmen von der Regel. Dies betrifft einmal Krebs der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), bei dem die für 2023 zu erwartenden Todeszahlen keine Veränderung im Zeitverlauf erkennen lassen. Es gilt aber wohl auch für Lungenkrebs, hier aber durchaus getrennt für die Geschlechter: bei den Männern rechnet man in allen Altersgruppen mit einer Abnahme der Krebstoten, also mit demselben Trend, den man für die meisten Krebsarten feststellen konnte. Bei den Frauen weist der Trend hingegen auf einen (weiteren) Anstieg hin.

Den größten Rückgang der Krebssterblichkeit (teilweise im Bereich von -20%!) kann man in der EU ebenso wie in Großbritannien und für beide Geschlechter beim Magenkrebses erwarten. Die Wissenschaftler halten hierfür die erfolgreiche Bekämpfung von chronischen Magenentzündungen (Ulcus) durch medikamentöse Behandlung des Bakteriums Helicobacter pylori für einen wichtigen Faktor dieses Erfolgs.

Zu bedenken ist jedoch, was die Autoren in der Diskussion auch explizit hervorheben, dass es sich um statistische Projektionen für 2023 handelt. In diese konnten die möglichen Effekte der Corona-Pandemie nicht eingerechnet werden. Diese Effekte könnten den eigentlich günstigen Trend etwas abschwächen. Denn es hat sich bereits klar abgezeichnet, dass es durch vermiedene Vorsorgeuntersuchungen sowie durch verzögerte Operationen oder andere Therapien zu einer Steigerung der Krebslast gekommen ist (und damit absehbar auch zu mehr Todesfällen kommt).  Dies dürfte sich auch noch in Folgejahren weiter auswirken.

Die wichtigste Aufgabe sehen die Mailänder Wissenschaftler darin, den Kampf gegen die vermeidbaren Krebstodesfälle konsequent fortzuführen. Und das heißt für sie an erster Stelle, den Tabakkonsum weiter zu begrenzen. Daneben gilt das Augenmerk dem zu hohen Alkoholgenuss, auch die grassierende Fettleibigkeit muss besser in  den Griff genommen werden sowie schließlich die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen weiter verbessert werden (z.B. Hepatitis B). Für alle diese Bereiche hat sich in der jüngeren Vergangenheit gezeigt, dass Erfolge der Präventionsmedizin durch einen Rückgang von Sterbefällen belohnt wurden (siehe auch die Kapitel 5 und 6 im Bericht zum Krebsgeschehen des Robert Koch Instituts). Das ehrgeizige Ziel müsse heißen, so das Mailänder Wissenschaftlerteam am Ende ihres Artikels, die Zahl der krebsbedingten Todesfälle bis 2035 um 35 % zu senken!

Um schließlich noch einmal auf die oft zu hörenden Bemerkungen von dem vermeintlich immer häufigeren Auftreten von Krebs(-toten) zurück zu kommen, so mag es damit eine besondere Bewandtnis haben: 1. Gibt es in einer alternden Gesellschaft durch die altersabhängige Zunahme der Krebserkrankungen tatsächlich (absolut) mehr Menschen, die an Krebs erkranken und versterben. Das heißt nur nicht, dass die Krankheit relativ häufiger wird, wie man es zum Beispiel von den tatsächlich im Zunehmen begriffenen Allergien sagt. Zweitens ist eines sicher festzustellen nämlich, dass Gesundheitsrisiken und Krankheiten seit Jahren ein Top-Thema der Medien sind. Es wird also objektiv immer mehr über Krankheiten berichtet, hier bevorzugt über seltene und schwere Krankheiten sowie über vermeintliche oder tatsächliche Versäumnisse der Ärzte beim rechtzeitigen Entdecken von Krankheiten. Aus solchen stetig sprudelnden Berichten folgt für viele Menschen die Wahrnehmung, dass der medialen Aufmerksamkeit auch eine (Zunahme der) Häufigkeit und Brisanz des Berichteten entspricht (Verfügbarkeitsheuristik). Schließlich mag in der Klage über den vermeintlich um sich greifenden Krebs auch so etwas wie ein Kulturpessimismus anklingen, also der Ausdruck eines Unbehagens gegenüber einer Welt, die sich im Erleben der so sprechenden Person ungut entwickelt, die irgendwie „krank“ ist, und in der die Gesundheitsrisiken allenthalben zuzunehmen scheinen.

Wenn wir uns an die Fakten halten, dies zum letzten Schluss, dann scheint es objektiv mehr Krebstote zu geben, aber nur, weil die Gesellschaften altern, während es aufgrund von stetigen Fortschritten relativ weniger Krebstote gibt, jedenfalls gilt dies für die meisten Krebsarten.

Um schließlich noch einmal auf die oft zu hörenden Bemerkungen von dem vermeintlich immer häufigeren Auftreten von Krebs(-toten) zurück zu kommen, so mag es damit eine besondere Bewandtnis haben: 1. Gibt es in einer alternden Gesellschaft durch die altersabhängige Zunahme der Krebserkrankungen tatsächlich (absolut) mehr Menschen, die an Krebs erkranken und versterben. Das heißt nur nicht, dass die Krankheit relativ häufiger wird, wie man es zum Beispiel von den tatsächlich im Zunehmen begriffenen Allergien sagt. Zweitens ist eines sicher festzustellen nämlich, dass Gesundheitsrisiken und Krankheiten seit Jahren ein Top-Thema der Medien sind. Es wird also objektiv immer mehr über Krankheiten berichtet, hier bevorzugt über seltene und schwere Krankheiten sowie über vermeintliche oder tatsächliche Versäumnisse der Ärzte beim rechtzeitigen Entdecken von Krankheiten. Aus solchen stetig sprudelnden Berichten folgt für viele Menschen die Wahrnehmung, dass der medialen Aufmerksamkeit auch eine (Zunahme der) Häufigkeit und Brisanz des Berichteten entspricht (Verfügbarkeitsheuristik). Schließlich mag in der Klage über den vermeintlich um sich greifenden Krebs auch so etwas wie ein Kulturpessimismus anklingen, also der Ausdruck eines Unbehagens gegenüber einer Welt, die sich im Erleben der so sprechenden Person ungut entwickelt, die irgendwie „krank“ ist, und in der die Gesundheitsrisiken allenthalben zuzunehmen scheinen.

Wenn wir uns an die Fakten halten, dies zum letzten Schluss, dann scheint es objektiv mehr Krebstote zu geben, aber nur, weil die Gesellschaften altern, während es aufgrund von stetigen Fortschritten relativ weniger Krebstote gibt, jedenfalls gilt dies für die meisten Krebsarten.