Für die relativ neu in Schwerin präsente Schweriner Internet Zeitung habe ich den folgenden Beitrag verfasst, der am 30. Mai dort online gestellt wurde:

Stadtvertreter stimmen gegen die Öffnung der Fußgängerzone für den Radverkehr: ein Rückschlag für die Verkehrswende in Schwerin?

Am 8.5.23 berichtete die SVZ, dass die Stadtvertreter schlussendlich eine Beschlussvorlage der Verwaltung zur ganzjährigen Öffnung der Fußgängerzone für den Radverkehr gekippt hatten, obwohl daran lange gearbeitet wurde. Sie hätte als „Fahrradstraße“ zu einem leuchtenden Signal für die Verkehrswende in Schwerin werden sollen oder können. Wie es in dem Artikel heißt, hatte sich die Öffnung der Fußgängerzone aus Sicht der Stadtverwaltung als „geradlinigste Führung Richtung Bahnhof“ angeboten.  Alternativen mit geringfügigem Umweg, etwa die Führung des Radverkehrs durch die parallel verlaufende Busch- und Bischofstraße, wären möglich gewesen. Den auf der Hand liegenden Problemen zwischen Fuß- und Radverkehr wollte man seitens der Stadt durch eine „Aufklärungskampagne“ begegnen. Sie hätte, wie es in dem Artikel weiter heißt, für „mehr Rücksicht zwischen Radfahrern und Fußgängern werben“ sollen. Laut dem Schweriner Radentscheid bzw. einer Stellungnahme durch Frau Madleen Kröner dokumentiere die Entscheidung der Stadtvertreter ein Misstrauen gegenüber Radfahrenden: man „bezweifelt, dass sich Schweriner Radfahrer ausreichend rücksichtsvoll verhalten können“.

Dass dieser Zweifel mehr als berechtigt ist, lässt sich allerdings täglich und mühelos unter anderem auf den nahegelegenen Fußwegen um den Pfaffenteich beobachten. Denn ein „ausreichend rücksichtsvolles“ Verhalten von Radfahrenden würde mindestens erfordern, dass diese die Regeln einhalten. Und diese besagen, dass auf den für den Radverkehr frei gegebenen Fußwegen die Gehenden weiter Vorrang gegenüber den Fahrenden haben. Es ist also niemand zur Seite zu klingeln. Und weiter, dass ein Schritttempo eingehalten wird, denn das Schild zur Freigabe des Radverkehrs ist ausdrücklich für den langsamen Radverkehr vorgesehen, nicht etwa, um Radlern den Wechsel auf den Gehweg zu ermöglichen, wenn die Fahrbahn durch Kopfsteinpflaster ungemütlich ist. Das alles wird durch die Schweriner Behörden leider nirgends ordentlich kommuniziert. Deshalb bedarf es hier in der Tat und gänzlich unabhängig vom Projekt Fahrradstraße einer „Aufklärungskampagne“. Und zwar nicht, um mehr Rücksicht „zwischen“ den Gehenden und den Fahrenden zu erwirken, sondern Rücksicht der Fahrenden gegenüber den Gehenden!

Dass diese Art von Rücksicht bislang nirgends in Schwerin verlässlich realisiert ist, kann jedermann täglich in Schwerin nachvollziehen. Und insofern ist der Entscheid der Stadtvertreter ausdrücklich zu begrüßen. Und er ist auch keineswegs ein Rückschlag für die Verkehrswende. Denn entgegen der weit verbreiteten Darstellung in den Medien, wonach die Wende vor allem zu bedeuten scheint, zukünftig mit dem Rad statt mit dem Auto unterwegs zu sein, heißt Verkehrswende vielmehr, alle Mittel zu nutzen, um den in vielfacher Hinsicht zur Last gewordenen Autoverkehr drastisch zu reduzieren. Dabei ist das Radfahren sicher eine Option, das Gehen aber ist – insbesondere in Verbindung mit dem systematisch aufzuwertenden ÖPNV – das wichtigste Glied in der Kette. Die Frage, wie fußgängerfreundlich innerstädtische Bereiche gestaltet sind, wird in der Verkehrswende insofern zur Schlüsselfrage werden. Und dies nicht nur im Hinblick auf das Vorankommen, sondern auch unter dem Gesichtspunkt der Aufenthaltsqualität öffentlicher Räume. Zu diesen gehören neben den Plätzen, die einem als erstes dazu einfallen, vor allem die Wege, also die Bürgersteige. Und diese wieder für das Gehen und Verweilen attraktiv(er) zu machen, muss ein vorrangiges Ziel einer jeden, der Zukunft zugewandten Stadt sein.

Insofern ist es eine gute, der Verkehrswende dienliche Entscheidung gewesen, im letzten Moment doch noch den leichtsinnigen Plan zu stoppen, ausgerechnet eine dicht frequentierte Fußgängerzone für den Radverkehr frei zu geben.

Der Autor ist Mitglied des ADFC sowie des FUSS e.V. (Fachverband Fußverkehr Deutschland).