Wenn eine Frau wissen möchte, ob sie schwanger ist, geht sie nicht gleich zum Arzt, sondern sie prüft die Situation zu Hause selbst mit einem Schwangerschaftstest. Vergleichbar einfache Schnelltest könnten auch entwickelt werden, um eine Corona-Infektion früh zu erkennen. Die renommierten Infektiologen Paul Sax [1] und Michael Mina [2] aus Boston plädieren seit Wochen dafür, solche Corona-Schnelltests für jedermann zur Verfügung zu stellen. Damit könnten viele gefährliche Situationen in Schule und Beruf verhindert und damit das Infektionsgeschehen zurückgedrängt werden. Außerdem wäre trotz Pandemie wieder mehr normaler Lebensalltag möglich.

Die Logik hinter diesen Überlegungen wird in einem Video anschaulich dargestellt [3]. Nachdem man sich mit dem Corona-Virus angesteckt hat, vermehren sich die Viren im Nasen-Rachenraum rasant. Schon nach 2 bis 3 Tagen haben sich die Viren in der Schleimhaut so stark vermehrt, dass sie beim Atmen oder Sprechen mit winzigen Flüssigkeitströpfchen auf andere Menschen übertragen werden können. Die meisten Infizierten sind in dieser Phase noch völlig gesund und merken nicht, dass sie andere Menschen gefährden. Die Viruslast steigt weiter an, bis die Symptome beginnen und man merkt, dass man krank ist. Danach fällt die Viruslast wieder ab und ist durchschnittlich 10 Tage nach der Infektion wieder so gering, dass man nicht mehr ansteckend ist. Normalerweise können Infizierte die Viren also ungefähr 6-10 Tage lang auf andere Menschen übertragen [4].

Verlauf der Viruslast ab Beginn der Infektion (Quelle: Abbildung 1 A aus Larremore et al 2020). Die horizontale Achse zeigt die Tage seit Infektion, die senkrechte Achse die Viruslast in einer logarithmischen Skala. Die rote Linie zeigt die Schwelle, ab der ein PCR-Test frühestens Viren finden kann (ab 10³ bzw. 1.000 Viren). Die braune Linie steht für einen weniger empfindlichen Schnelltest, der erst ab 105 = 100.000 Viren anschlägt. Für andere Menschen infektiös sind Personen mit einer Viruslast über 106= 1 Million Viren. Die Viruslast steigt im Mittel zwischen Tag 2 und 4 rasant an und fällt ab Tag 5 langsam ab. Manche Menschen haben noch 3 Wochen nach Beginn der Infektion positive PCR-Tests.

Ideal wäre ein Test, der genau dann anschlägt, wenn die Infizierten auch Überträger sind. Die Schwelle zur Ansteckungsgefahr haben die Virologen in zahlreichen Studien ermittelt, sie liegt bei einer Größenordnung von 1 Million Viren pro Milliliter. Bis zum Höhepunkt der Infektiosität steigt die Viruslast um den Faktor Tausend an und sie liegt dann bei mehreren Milliarden Viren pro Milliliter, bevor sie wenige Tage später wieder einen ungefährlichen Bereich erreicht.

Die aktuellen PCR-Tests aus Rachen- und Nasenabstrichen, die jetzt zur Diagnose einer Corona-Infektion verwendet werden, messen Bestandteile der Virus-RNA. Diese Tests sind ausgesprochen empfindlich und finden sogar winzigste Mengen von RNA in Messbereichen, in denen keine Übertragungsgefahr mehr besteht. Diese PCR-Tests können daher noch einige Wochen nach der akuten Erkrankung positiv sein. Das bedeutet aber nicht, dass die Person noch ansteckend ist! PCR-Tests sind teuer (40 bis 60 EUR pro Test), sie können nur in speziellen Labors ausgewertet werden, und es dauert Stunden bis Tage, bis das Ergebnis zur Verfügung steht.

Corona-Schnelltests messen meist nicht die RNA des Virus, sondern einen bestimmten Eiweißbaustein, ein Virus-Antigen. Diese Antigen-Schnelltests sind nicht ganz so empfindlich wie die RNA-Tests. Sie messen aber zuverlässig diejenige Viruslast, mit der eine Übertragung stattfinden kann. Solche Antigen-Tests zeigen also besser als PCR-Tests an, ob die getestete Person infektiös und damit gefährlich für andere ist. Antigen-Tests sind bereits für Arztpraxen und Kliniken verfügbar. Die Mediziner müssen die Abstrich-Proben nicht in ein spezielles Labor schicken, sondern können den Test selbst mit den zur Verfügung gestellten Reagenzien durchführen und das Ergebnis nach einer Viertelstunde ablesen.

Die Idee der amerikanischen Forscher besteht nun darin, für die breite Bevölkerung technisch einfachere Tests bereitzustellen. Wie ein Schwangerschaftstest arbeiten sie mit einem Papierstreifen. Auf dem Teststreifen befinden sich die nötigen Reagenzien. Als Probenmaterial würde man nicht wie bisher einen Abstrich aus Nase oder Rachen benötigen, sondern der Test würde mit Speichelproben funktionieren. Damit wäre das Testen einfach und schnell: Man spuckt auf den Teststreifen und sieht einige Minuten später das Ergebnis. Solche Schnelltests könnten sehr kostengünstig hergestellt und zum Preis von etwa 1 € verkauft werden. Jede Familie hätte die Tests zu Hause und könnte sich wenn nötig täglich testen. Eine Forschergruppe der Harvard-Universität hat zusammen mit Sherlock Biosciences bereits einen Schnelltest auf Papierstreifenbasis entwickelt (Foto hier [2]).

Die gesellschaftlichen Vorteile wären enorm. Nach Angaben der amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC erfasst die derzeitige Testsituation nur 10 % der Infizierten, während 90 % der Corona-Infektionen gar nicht diagnostiziert werden [5]. All diese Menschen stecken andere an, ohne es zu wissen. Dementsprechend schnell verbreitet sich das Virus, vor allem dann, wenn viele Menschen zusammen sind.

Die Schnelltests würden den Lebensalltag in der Pandemie verändern. Damit könnte jeder Schüler morgens testen, ob er infektiös ist. Wenn ja, bleibt er zu Hause in Quarantäne. Wenn nein, geht er in die Schule. Am Unterricht nehmen nur Test-negative Schüler (und Lehrer) teil, so dass unbemerkte Infektionen vermieden werden. Selbst wenn ein Testergebnis einmal falsch ausfallen sollte, würde die Infektion beim Test am nächsten Tag festgestellt. Auch das Berufsleben würde von Schnelltests profitieren. Vor größeren Besprechungen könnten Mitarbeiter sich testen, und die Gefahr von Ausbrüchen in Firmen würde geringer. Das öffentliche Leben mit Sport und Kultur könnte für negativ getestete Personen wieder normaler gestaltet werden. Und wer gefährdete Großeltern oder chronisch Kranke besuchen möchte, könnte die Übertragungsgefahr vorher mit einem Schnelltest ausschließen und seine Lieben wieder ohne Sorge treffen.

Um diesen Fortschritt zu erreichen, müssen die Zulassungsbehörden bereits entwickelte Testsysteme für den Markt zulassen. Politiker könnten durch entsprechende Förderungen Einfluss auf den Preis der Testsysteme nehmen. Und wenn die Gesellschaft aktuell die Kosten für PCR-Tests bei Reiserückkehrern trägt, könnte sie auch Corona-Schnelltests subventionieren.

Zusammengefasst haben Corona-Schnelltests ein enormes Potenzial. Das Alltagsleben wäre weniger risikoreich, weil positiv getestete Personen frühzeitig in Quarantäne gehen könnten. Wenn die Mehrzahl der Infizierten auf diese Weise früh erkannt würde, würde die Epidemie schneller und einfacher als bisher zurückgedrängt werden können. Und das viele Monate, bevor ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird.