Im Deutschen Ärzteblatt wurde von Rüdiger Meyer im Herbst letzten Jahres eine online veröffentlichte Studie aus Illinois, USA, vorgestellt, die seit kurzem auch in gedruckter Form vorliegt. Sie befasst sich mit der Frage, ob die handwerkliche Kompetenz der Chirurgen sich auf das Überleben der Patienten fünf Jahre nach Darmkrebs-OP auswirkt. Es zeigte sich hier erstens ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Können und der Häufigkeit solcher Operationen pro Jahr. Die handwerklich am besten eingestuften Ärzte waren zugleich jene, die dreimal mehr Operationen pro Jahr durchführten als die weniger gut bewerteten Ärzte. Zweitens zeigte sich ein verbessertes Überleben jener Patienten, die von technisch versierten Chirurgen operiert wurden. Bei den versierten Chirurgen waren fünf Jahre nach der OP noch 79% der Patienten am Leben, bei den weniger versierten Chirurgen waren es 55-60%.

Unter die Überschrift dieses Blogeintrags passt auch eine weitere Studie aus den USA, die außer in Illinois auch in Pennsylvania und Connecticut durchgeführt wurde. In dieser sehr groß angelegten Studie konnten Daten von mehr als 100.000 Patienten ausgewertet werden und zwar im Hinblick auf die kurz- und mittelfristigen Überlebensraten von Patienten mit unterschiedlichen Krebserkrankungen. Geprüft wurde dabei, ob es einen Unterschied machte, wenn die Behandlung in einem für die jeweilige Krebserkrankung bekannten Spitzenzentrum durchgeführt wurde oder in einer Klinik, die mit einem solchen Zentrum nur assoziiert ist. In Deutschland dürfte dies vielleicht vergleichbar sein mit der Frage, ob sich das Behandlungsergebnis bzw. die Überlebensrate zwischen Kliniken unterscheidet, die nach den Abstufungen der Zertifizierung (siehe unten) einen unterschiedlichen Status haben.
Auch in dieser Studie zeigte sich ein klarer Vorteil für Patienten, die sich für maximale medizinische Kompetenz und also für ein Spitzenzentrum entschieden hatten: Das Risiko des Versterbens war im Zeitraum 90 Tage nach OP in den bloß assoziierten Kliniken mehr als die Hälfte höher als in den Spitzenzentren.
Bemerkenswert ist, dass die Unterschiede zwischen den erfolgreichen Zentren und den im Netzwerk assoziierten, weniger erfolgreichen Kliniken nicht alleine durch Unterschiede der Fallzahl und damit auch durch den Faktor “Erfahrung/Routine” zu erklären waren. Dies konnte man aus der vorher erwähnten Studie ja herauslesen. Die Wissenschaftler sehen deshalb weiteren Forschungsbedarf, um alle relevanten Faktoren zu ermitteln, die für gute und weniger gute Verläufe den Ausschlag geben.

Beide Studien bestätigen eine Lehre, die ich aus 20-jähriger Arbeit als klinischer Psychologe an der Medizinischen Hochschule in Hannover für mich persönlich gezogen hatte: für die Behandlung einer ernsten Erkrankung – und allemal, wenn diese dann auch noch selten ist – sollte man besser nicht die Wohnortnähe zum Maßstab machen, sondern die (mutmaßliche) medizinische Kompetenz. Gewiss ist zum Beispiel die bessere Möglichkeit von Angehörigenbesuchen gerade dann von großem „gefühlten Wert“, wenn es um solche ernsten Krankheiten geht und man den Beistand womöglich bitter nötig hat. Und es ist keine Frage, dass solche Besuche eher für ein wohnortnahes als ein fernliegendes Krankenhaus sprechen. Aber es ist eben die Frage, ob dieser gefühlte Vorteil auch den Ausschlag geben sollte, wenn Unterschiede zwischen Kliniken doch so gewichtig sein können.

Zweifellos ist es zumal für medizinische Laien nicht leicht, diese Frage nach der Kompetenz irgendwie beantwortet zu bekommen. Aber die heutzutage häufig verfügbaren Dokumente der Kliniken zur Häufigkeit der dort durchgeführten Operationen geben bereits wichtige Anhaltspunkte. Ebenso die Frage, ob für das jeweilige Krankheitsbild eine Spezialisierung eingerichtet wurde (zum Beispiel Spezialsprechstunden oder Ähnliches). In der Onkologie kommt mit der Zertifizierung ein weiteres Qualitätskriterium hinzu. Denn für die Anerkennung der jeweiligen Stufe (Organkrebszentrum, Onkologisches Zentrum oder Onkologisches Spitzenzentrum) spielen Kriterien eine Rolle, die mutmaßlich mit Kompetenz verbunden sind. Dabei sind die jährlichen Fallzahlen zweifellos ein wichtiger Faktor, aber es werden noch viele weitere Parameter zugrunde gelegt und Jahr für Jahr vor Ort überprüft. Wer zum Beispiel an einem Pankreastumor leidet, also an einer nicht sehr häufigen Krebsart, der sollte sich tunlichst an eine Klinik wenden, die eben dafür ein Zentrum ist bzw. eine (hohe) Zertifizierung nachweisen kann.

Nicht unerwähnt sollte an dieser Stelle aber bleiben, dass diese hier befürwortete “Logik” nur solange gilt und Sinn macht, wie eine berechtigte Hoffnung besteht, die Krebserkrankung noch zu besiegen. Das heißt in der Medizin dann: solange noch eine kurative Behandlungsstrategie verfolgt wird. Je weniger das noch der Fall ist und je mehr also das Pendel hin zur palliativen Behandlung ausschlägt, umso mehr gilt das Umgekehrte: die Wohnortnähe und die Nutzung der erhaltenen Beziehungen bekommt hier eine elementare Bedeutung für die verbleibende Lebenszeit.