Am 20. Januar 2020, kurz nachdem eine mysteriöse neue Viruserkrankung in China zahlreiche Tote gefordert hatte, startete das BioNTech-Team um das Ehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci die Arbeiten zu einem mRNA-Impfstoff. Es folgten Monate intensivster Forschung und klinischer Studien mit Zehntausenden freiwilliger Teilnehmer in mehreren Kontinenten. Die Arbeiten waren erfolgreich, so dass der erste mRNA-Impfstoff am 2. Dezember eine Notfall-Zulassung in Großbritannien erhielt. Eine bedingte Zulassung für Europa wurde am 21. Dezember erteilt.

Viele Menschen fragen sich, ob dabei alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Immerhin heißt es doch, dass es normalerweise viele Jahre dauert, bis ein Impfstoff genügend erforscht ist, um zugelassen zu werden. Dazu möchte ich einige Erläuterungen geben.

Den „Rekord“ für den am schnellsten entwickelten Impfstoff hielt bisher der Mumps-Impfstoff mit vier Jahren Entwicklungszeit [1]. Damit eine neue Vakzine in die Erprobung am Menschen gehen kann, durchläuft sie ein umfangreiches Programm klinischer Prüfungen. Es umfasst nacheinander die Phasen I bis III, wobei eine Phase auf die andere aufbaut. Sollten Schwierigkeiten auftreten, wird das Programm vorübergehend oder sogar endgültig gestoppt. In Phase III gewinnt man an Tausenden von Probanden Erkenntnisse zur Wirksamkeit und Verträglichkeit des neuen Impfstoffs, die dann die Basis einer Zulassung sind. Mit der Marktzulassung wird dann die Produktion hochgefahren.

Für klinische Studien benötigt man zunächst genügend Freiwillige. Sie müssen bereit sein, mehrmals das Studienzentrum zu besuchen, ihre Zustimmung für Untersuchungen, ausführliche Fragebögen und Blutentnahmen zu erteilen und sich sogar damit einverstanden erklären, nicht zu erfahren, ob in der verabreichten Spritze echter Impfstoff ist oder ein impfstofffreies Plazebo. Denn nur mit einer Kontrollgruppe, die keinen Impfstoff erhält, können Wirksamkeit und Verträglichkeit verlässlich ermittelt werden. Bei dem relativ neuen Impfstoff gegen Gürtelrose, der 2018 in Europa zugelassen wurde, brauchte man zwölf Monate, um gut 14.000 freiwillige Studienteilnehmer zu gewinnen.

Nachdem in der Studie der Impfstoff (oder das Plazebo) verabreicht worden ist, muss man warten, wie viele Erkrankungen in den beiden Vergleichsgruppen auftreten. Je häufiger eine Erkrankung ist, desto kürzer ist diese Beobachtungsphase. Im Fall des Gürtelrose-Impfstoffs dauerte es insgesamt fünf Jahre, bis die Studie nach 270 aufgetretenen Erkrankungen abgeschlossen werden konnte.

Dagegen ging im Corona-Jahr 2020 alles bedeutend schneller. Unzählige Menschen wollten sich unbedingt impfen lassen, so dass die BioNTech/ Pfizer-Studie innerhalb von dreieinhalb Monaten 43.000 Freiwillige gewinnen konnte, weit mehr als in Impfstudien üblich. Da in den USA zwischen Juli und November hunderttausende Menschen an Covid-19 erkrankten und die Studie auch dort durchgeführt wurde, gab es in kurzer Zeit genügend Krankheitsfälle, um zügig zu Resultaten zu kommen. Bereits vier Monate nach Beginn der Phase III-Studie wurden verlässliche Ergebnisse für die mRNA-Impfung publiziert. Hier beschleunigte also das extreme Infektionsgeschehen die klinische Erprobung des Impfstoffs.

Auch die Zulassungsbehörden haben ihre Verfahrensweisen optimiert und damit einen wichtigen Beitrag geleistet. So wurde in Europa ein „rollierendes“ Verfahren genutzt, um die jeweils neuen Erkenntnisse aus Studien zeitnah durchzuarbeiten und zu bewerten und nicht wie üblich erst nach Abschluss des gesamten Entwicklungsprozesses.

Maßgebliche andere Gründe für die rasend schnelle Impfstoffentwicklung legten Reportagen der Washington Post [2] und der Fachzeitschrift Nature [1] dar. Die mRNA-Forschung begann bereits vor etwa 30 Jahren und die für mRNA-Impfstoffe relevante Grundlagenforschung schon vor 15 Jahren, wenngleich sie ursprünglich vor allem der Krebsforschung galt. Erst in Jahr 2020 waren die Ergebnisse so weit herangereift, dass sie zur Impfstoffentwicklung gegen Covid-19 genutzt werden konnten; vor 5 Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen.

Forscher machten im Jahr 1990 Mäuse zu Protein-Fabrikanten, indem sie den Tieren einen kleinen Schnipsel mRNA spritzten. Allerdings ist pure mRNA häufig so zerbrechlich, dass sie nicht immer die Zelle erreicht und zusätzlich unerwünschte Entzündungsreaktionen auslösen kann. Erst nachdem 2005 eine Methode entwickelt wurde, bei der zwei Buchstaben des mRNA-Codes ausgetauscht wurden, konnte damit die Entzündungsantwort verhindert werden. Im Jahr 2016 entwickelte BioNTech eine geeignete Verpackung für die mRNA, die aus winzigsten Fett-Tröpfchen besteht, den Lipid-Nanopartikeln [3]. Alles in allem trugen hunderte unterschiedlicher Erfindungen zum Erfolg bei, wie Ugur Sahin es ausdrückte.

Mit der mRNA-Technik ist die Herstellung eines Kandidaten-Impfstoffs innerhalb von Tagen möglich. Demgegenüber ist die biotechnologische Produktion anderer Impfstoffe weitaus komplizierter und zeitaufwändiger.

Ein wichtiger Einflussfaktor für den schnellen Erfolg war zudem die massive Forschungsförderung. In den USA gilt die 10 Milliarden Dollar schwere „Operation Warp Speed“ als größte Forschungsförderung, die die Pharmaindustrie je erhalten hat (BioNTech / Pfizer haben am Programm nicht teilgenommen). Im Januar 2017 gründete sich beim Weltwirtschafts-Forum in Davos die „Koalition für Innovationen in der Epidemievorbeugung“ (CEPI). Die Länder Norwegen, Deutschland, Japan ebenso wie der Wellcome Trust und die Bill & Melinda Gates Stiftung stellten dafür zunächst 460 Millionen Dollar bereit und werden die Summe innerhalb von fünf Jahren auf insgesamt 1 Milliarde Dollar aufstocken. Ziel ist, ein Forschungsnetzwerk zur Erforschung und Entwicklung neuer Impfstoffe aufzubauen, um schneller und direkter auf Ausbrüche neuer viraler Infektionen reagieren zu können. CEPI hat auch Coronavirus-Impfstoffe finanziell gefördert, vor allem die Präparate von Moderna und Astra-Zeneca (Oxford-Impfstoff). Die umfangreiche finanzielle Förderung ermöglichte es den Herstellern, Studienphasen parallel statt nacheinander laufen zu lassen und schon vor der behördlichen Zulassung mit der Produktion des Impfstoffs zu beginnen. Das spart Monate ein. So war der gesamte Entwicklungsprozess für die Firmen mit weitaus geringeren finanziellen Risiken verbunden.

Zusammenfassend haben viele Faktoren dazu beigetragen, dass Covid-19-Impfstoffe rasend schnell entwickelt werden konnten. Dabei wurden Prozeduren erprobt, die auch bei der Impfstoffentwicklung der Zukunft ihren Platz haben werden. Experten betrachten die mRNA-Technologie als Revolution für die Impfwissenschaft und sehen darin ein wichtiges Werkzeug zur Bekämpfung zukünftiger Pandemien.

Literatur

1       Ball P. The lightning-fast quest for COVID vaccines — and what it means for other diseases. Nature

2       Johnson CY. A gamble pays off in ‘spectacular success’: How the leading coronavirus vaccines made it to the finish line. The Washington Post 2020

3       Simmank J, Schumann F, Fischer L. Corona-Impfstoff von BioNTech: Die USA haben eine Impfung – was kann sie? Die Zeit 2020