Chorproben waren wiederholt Quellen für größere Ausbrüche von Covid-19, auch in Berlin. Dies spricht dafür, dass gemeinsames Singen das Risiko für eine gegenseitige Ansteckung mit dem Coronavirus deutlich erhöht. Entsprechend wichtig sind Erkenntnisse zur Entstehung von Tröpfchen und Aerosolen beim Singen, wie sie Forscher der Charité und der Technischen Universität Berlin am 3. Juli veröffentlicht haben.

Zunächst untersuchten die Wissenschaftler, wie viel Aerosole beim Atmen, Sprechen und professionellen Singen entstehen. Als Probanden dienten je zwei Sängerinnen und Sänger des RIAS Kammerchors Berlin der Stimmlagen Sopran, Alt, Tenor und Bass. Die Messungen fanden in einem Forschungsreinraum mit kontrollierter Zuluft und Abluft und einem Überdruck zu den umgebenden Räumen statt. Die Probanden trugen Reinraumkleidung, sodass nur Auge, Mund und Nase unbedeckt waren. Sie saßen vor der Öffnung einer luftdurchströmten Glasröhre und atmeten, sprachen oder sangen jeweils in die Röhre hinein. Die Teilchen, die dabei entstanden, wurden mit einem Laserpartikelzähler gezählt und ihr Durchmesser bestimmt. Die Probanden durchliefen 4 unterschiedliche Testsituationen, die entweder 50 oder 10 Sekunden lang dauerten und jeweils fünfmal wiederholt wurden.

Sängerin am Messplatz im Labor
(Foto: Bernhard Heß/ Archiv RIAS-Kammerchor, mit freundlicher Genehmigung)

Fast alle gemessenen Teilchen waren extrem winzig und hatten die Größe von Aerosolpartikeln, mit einem Durchmesser von unter 5 µm bei 99% und unter 1 µm bei 80% aller Partikel. Beim Sprechen oder Singen bildeten die Versuchspersonen viel mehr Aerosolteilchen als beim ruhigen Atmen durch den Mund, mit großen Unterschieden zwischen den Probanden: beim Atmen setzten sie zwischen 5 und 85 Partikel pro Sekunde frei, beim Singen waren es zwischen 750 und 6.100 Partikel pro Sekunde. Die Messwerte für das Sprechen lagen dazwischen. Manche Personen bildeten beim Sprechen 100-mal mehr und beim Singen sogar 330-mal mehr Aerosolpartikel als bei Ruheatmung. Laut gesungene Töne erzeugten über 100-mal mehr Partikel als leises Singen. Frauen bildeten mehr Aerosole als Männer.

Andere Forschergruppen haben die Wahrscheinlichkeit, dass ein 1 µm großes Aerosolpartikel ein Coronavirus enthält, mit 0,01 % ermittelt. Damit könnte eine Person, die 1 Minute laut spricht, in dieser Zeit mindestens 1.000 virushaltige Teilchen erzeugen. Wie infektiös diese Aerosole sind, kann man nicht genau abschätzen. Damit eine andere Person sich ansteckt, muss sie vermutlich etwa zwei bis dreitausend aktive Viruspartikel einatmen.

Die zweite Arbeit derselben Forschergruppe beschäftigt sich mit der Frage, wie sich die beim Singen erzeugten Aerosole in Probenräumen verteilen. Die winzigen Teilchen fallen nämlich nicht zu Boden, sondern schweben im Raum umher und können daher viele Meter von einer Person zu einer anderen Person zurücklegen. Je länger der Aufenthalt, desto stärker steigt die Konzentration der Aerosole an.

Die Forscher verwendeten etablierte Methoden zur Bestimmung von Schadstoffkonzentrationen in Räumen unter dem Einfluss verschiedener Luftwechsel. Damit bewerteten sie analytisch das Risiko für drei typische Raumsituationen: den Chorprobenraum des philharmonischen Chores in Berlin, einen Konzertsaal im Format »Schuhkarton« (großer Saal des Konzerthauses Berlin) und einen Konzertsaal »Weinberg« (Konzertsaal der Dresdner Philharmonie). Als Vergleich dienten zwei Büros. Die Rahmenbedingungen unterschieden nicht nur die Raumvolumina (zwischen 60 und 21.500 Kubikmeter), sondern auch die Lüftungssysteme (Fensterlüftung im Chorprobenraum und in einem Büro, maschinell in den beiden Konzertsälen und in einem anderen Büro). Die Anzahl der Chorsänger und Zuschauer hing von der Raumsituation ab und berücksichtigte die gültigen Hygienekonzepte der Konzerthäuser. Die Berechnungen gingen von einem infizierten Chorsänger aus, dessen ausgeatmetes Aerosol sich mit der Zeit im Raum verteilt.

Während einer 30-minütigen Chorprobe stieg in den nicht maschinell belüfteten Räumen die Konzentration des Aerosols sehr stark an. Verließen danach alle Personen den Raum, damit 15 Minuten lang gelüftet werden konnte, sank die Konzentration wieder ab, allerdings auf weniger als die Hälfte des Wertes vor der Pause. Während der folgenden 30-minütigen Chorprobe kam es dann zu einem erneuten und noch höheren Anstieg der Partikelkonzentration. In den Räumen mit Fensterlüftung waren am Ende mehr als 6.000 (Büroraum) bzw. knapp 3.000 (Chorprobenraum) Aerosolpartikel pro Kubikmeter Luft vorhanden. Ganz anders und vollkommen unproblematisch war dagegen die Situation in den beiden Konzertsälen mit maschineller Belüftung, denn hier kam es sogar nach 60 Minuten Probe nicht zu einem relevanten Anstieg der Teilchenkonzentration.

In großen klimatisierten Konzertsälen mit hoher Luftwechselrate ist die Situation für Chorproben also am günstigsten. Die Wirksamkeit des Lüftens durch geöffnete Fenster ist jedoch sehr unterschiedlich. Sie hängt von Windgeschwindigkeit und Windrichtung ebenso ab wie von der Temperaturdifferenz zwischen innen und außen. Nicht immer reicht Fensteröffnen aus, um die Aerosolkonzentration wirksam zu verringern. Hier könnte eine trügerische Sicherheit entstehen.

Als Fazit ihrer Forschungen geben die Wissenschaftlerinnen klare Hinweise zum Risikomanagement bei Chorproben: Der Raum soll möglichst groß und idealerweise maschinell gelüftet sein, die Zahl der Sängerinnen und Sänger muss reduziert und sie müssen mit ausreichendem Abstand voneinander platziert werden. Bei Fensterlüftung sind die Witterungsbedingungen zu berücksichtigen. Individualisierte Konzepte werden auch in den schwierigen Corona-Zeiten Proben und Aufführungen mit Chorgesang ermöglichen.

Quellen:
= Brachmann, Jan (2020): Pauschale Singverbote sind übertrieben. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.07.2020. Online verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/aerosolstudie-widerlegt-sinn-von-totalen-singverboten-16853505.html?premium, zuletzt geprüft am 11.07.2020
= Hartmann, Anne; Mürbe; Kriegel; Lange; Fleischer: Risikobewertung von Probenräumen für Chöre hinsichtlich virenbeladenen Aerosolen, zuletzt geprüft am 10.07.2020.
= Kriegel, Martin; Hartmann, Anne (2020): Risikobewertung von Innenräumen zu virenbeladenen Aerosolen.
= Mürbe, Dirk; Mario Fleischer; Julia Lange; Hansjörg Rotheudt; Martin Kriegel: Erhöhung der Aerosolbildung beim professionellen Singen. Online verfügbar unter https://audiologie-phoniatrie.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/m_cc16/audiologie/Allgemein/Aerosolbildung_beim_Singen_M%C3%BCrbe_et_al._02072020.pdf, zuletzt geprüft am 10.07.2020.
= Neuendorff, Maria (2020): Corona: 60 Chormitglieder im Berliner Dom infiziert. In: MOZ.de, 19.05.2020. Online verfügbar unter https://www.moz.de/nachrichten/brandenburg/artikel-ansicht/dg/0/1/1803730/, zuletzt geprüft am 09.07.2020