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Priv.-Doz. Dr. med. Gratiana Steinkamp
Dipl.-Psych. Dr. Gerald Ullrich

Sterblichkeit bei COVID-19: entscheidend ist das Alter

asd

In der öffentlichen Diskussion kursieren ganz unterschiedliche Angaben zur Sterblichkeit der COVID-19-Erkrankung. Niedrig erscheinende Zahlen werden für die Behauptung herangezogen, dass COVID-19 nur eine Erkältungskrankheit unter vielen sei und allemal nicht schlimmer als die Influenza-Grippe. Kontaktbeschränkungen werden daher von einigen infrage gestellt.

Zur Sterblichkeit haben Forschergruppen aus Europa, den USA und Australien hunderte von Publikationen gesichtet und den Zusammenhang zwischen Alter der Population und Sterblichkeit an COVID-19 untersucht.

Bevor ich zwei aktuelle Studien zusammenfasse, möchte ich noch zwei Begriffe unterscheiden. In den Publikationen geht es um die Infektionssterblichkeit IFR, also den Anteil der Verstorbenen an allen mit dem Virus infizierten Menschen. Darin enthalten sind Personen mit einem positiven PCR-Test auf SARS-CoV-2, die Gruppe der „Fälle“. Zusätzlich gibt es aber auch infizierte Personen ohne Symptome, die gar nichts von ihrer Infektion wissen, oder erkrankte Menschen, die aber nicht getestet wurden und daher nicht als Fall registriert werden konnten. Auch diese beiden Gruppen gehen in die Infektionssterblichkeit ein. Sie kann nicht gemessen, sondern muss mit geeigneten Methoden geschätzt werden. Dagegen bezeichnet die Fallsterblichkeit den Anteil der Verstorbenen unter allen als Fall erkannten SARS-CoV-2 infizierten. Dieser Wert ist um ein Vielfaches höher als die Infektionssterblichkeit und wird in den Statistiken des Robert-Koch-Instituts mit aktuell 1,6% angegeben.

Um die Infektionssterblichkeit zu schätzen, zieht man Ergebnisse von Antikörpertests im Blut heran. Wenn das Immunsystem Antikörper produziert hat, muss die Person zuvor Kontakt mit dem Virus gehabt haben. Nachgewiesene Antikörper zeigen also, dass die Infektion durchgemacht wurde. Daraus leitet man die Seroprävalenz ab, also den Anteil der Bevölkerung, der im Blut Antikörper aufweist und demnach eine Infektion mit dem Coronavirus hinter sich haben muss.

Die Forscher der ersten Studie um Andrew Levin analysierten 27 qualitativ hochwertige Veröffentlichungen aus 34 unterschiedlichen Ländern und Regionen [1]. Dabei erfassten sie drei Wege, wie die Seroprävalenz ermittelt werden kann: Länder wie Korea, Island, Australien oder Tschechien hatten in ihrer Bevölkerung umfassende Testprogramme durchgeführt und festgestellt, wie viele der getesteten Personen im Blut Antikörper gegen das SARS CoV-2 Virus aufwiesen. Aus anderen Ländern lagen Daten von repräsentativen Bevölkerungsstichproben vor. In einer dritten Gruppe von Studien hatte man nachträglich Blutproben untersucht, die ursprünglich für andere Zwecke gesammelt worden waren. Diese Datenquellen werteten die Forscher nun in einer Metaanalyse mit speziellen statistischen Methoden aus und erarbeiteten daraus ein globales, übergreifendes Ergebnis für die Infektionssterblichkeit IFR, also den Anteil der Verstorbenen an allen mit dem Virus infizierten Menschen.

Die Autoren berechneten die Sterblichkeit für Altersgruppen zwischen 5 und 95 Jahren. Dabei fanden sie enorme Unterschiede. Von allen Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter 25 Jahren starben weniger als 0,01%, also maximal jeder zehntausendste Infizierte. Mit zunehmendem Alter stieg die IFR dann exponentiell und damit dramatisch steil an. Mit 55 Jahren starben schon 0,4%, also eine von zweihundertfünfzig Personen. Die Sterblichkeit der 65-jährigen lag bei 1,4% und die der 75-jährigen sogar bei 4,6%. Von den 85-jährigen starb etwa jeder siebte (15%) und von den Menschen im Alter von über 90 Jahren sogar jeder vierte, nämlich 25%.

Beziehung zwischen Alter (horizontale Achse) und Infektionssterblichkeit in Prozent (senkrechte Achse). Achtung, die senkrechte Achse hat einen logarithmischen Maßstab, d.h. sie steigt von einer zur nächsten Markierung um den Faktor 10! Die rote durchgezogene Linie zeigt das Ergebnis der Metaanalyse über alle ausgewerteten Studien, in violett dargestellt ist der Vertrauensbereich für dieses Resultat. Je nachdem, um welchen Typ Studie es sich handelte, haben die Datenpunkte eine unterschiedliche Form und Farbe. Quelle: Abbildung 3 aus Levin et al.

In einer Tabelle verglichen die Forscher die Infektionssterblichkeit an COVID-19 mit bekannten Gefahren des Alltagslebens. Beispielsweise ist für 55-64 jährige Personen das Risiko des tödlichen Ausgangs einer COVID-19 Infektion 200mal größer als das Risiko, in England innerhalb eines Jahres an den Folgen eines Autounfalls zu versterben. Auch gegenüber der saisonalen Influenza-Grippe ist das Sterberisiko je nach Altersgruppe bedeutend höher. Eine Auswertung aus Großbritannien ergab für 50-64jährige eine Sterblichkeit durch Influenza von 0,004%, also etwa 100mal weniger als für COVID-19 [2].

Schließlich konnten die Autoren nachweisen, dass die Unterschiede der COVID-19-Sterblichkeit zwischen Ländern wie Brasilien oder Italien zu 90 % auf die Alterszusammensetzung der Bevölkerung zurückgehen und nur in sehr geringem Maße auf andere Faktoren wie beispielsweise die Möglichkeiten des jeweiligen Gesundheitssystems.

Eine in Nature publizierte Studie zu demselben Thema wertete ebenfalls Seroprävalenz-Daten aus Blutproben aus und bezog sie auf die COVID-Sterblichkeit in 45 Ländern in Afrika, Asien, Amerika und Europa, einschließlich Deutschland [3]. Die Autoren um Megan O‘Driscoll schätzten, dass bis Ende August 2020 erst rund 5% der Bevölkerung mit SARS-CoV-2 infiziert worden waren. Für die Infektionssterblichkeit ergab sich auf allen Kontinenten dasselbe Bild, nämlich dass die Sterblichkeit sehr stark mit dem Alter zunahm:

Beziehung zwischen Lebensalter (horizontale Achse) und Sterblichkeit (IFR) an COVID-19. Auch hier hat die senkrechte Achse einen logarithmischen Maßstab. Frauen sind rot und Männer blau gekennzeichnet. Mit zunehmendem Alter steigt die IFR um einige Zehnerpotenzen an. Männer haben eine höhere Sterblichkeit. Quelle: Abbildung 2A aus [3]

Auch hier war die Infektionssterblichkeit im Alter von 65 Jahren ungefähr 100mal größer als mit 25 Jahren. Zusätzlich differenzierten die Forscher nach dem Geschlecht und konnten zeigen, dass Männer in allen Altersklassen eine höhere Sterblichkeit haben als Frauen. 

Zusammengefasst zeigen diese Auswertungen riesiger Datensätze aus verschiedenen Ländern der Welt eine extreme Zunahme der Sterblichkeit an COVID-19 mit steigendem Lebensalter. Es wird deutlich, dass diese Virusinfektion auch für Menschen mittleren Alters gefährlich ist. Im Vergleich zu tödlichen Verkehrsunfällen oder zur saisonalen Influenza sind die Todesraten bedeutend höher.

Es gibt also keinerlei Grund für eine Verharmlosung der Coronavirus-Pandemie. Außerdem müsste das von Corona-Leugnern wiederholt vorgetragene “Schützen von Risikogruppen” einen so großen Anteil der Bevölkerung umfassen, dass diese vermeintliche Lösung undurchführbar wäre.

Quellen

1    Levin AT, William P. Hanage, Nana Owusu-Boaitey et al. Assessing the Age Specificity of Infection Fatality Rates for COVID-19. Systematic Review, Meta-Analysis, and Public Policy Implications. medRxiv 2020:2020.07.23.20160895. Im Internet unter https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.23.20160895v7

2    Matias G, Taylor RJ, Haguinet F et al. Modelling estimates of age-specific influenza-related hospitalisation and mortality in the United Kingdom. BMC Public Health 2016;16.

3    O’Driscoll M, Gabriel Ribeiro Dos Santos, Lin Wang et al. Age-specific mortality and immunity patterns of SARS-CoV-2. Nature:1–9. Im Internet unter https://www.nature.com/articles/s41586-020-2918-0

1 Comment

  1. Wolfgang

    Vielen Dank, wie immer klar und deutlich.
    Leider ist die Wahrheit meist sperriger und vielschichtiger als die Aufnahmekapazität oder -bereitschaft vieler Menschen. Und sich die Dinge so zurechtlegen, wie es am wenigsten Umstände oder Ängste macht, war schon immer eine menschliche Fähigkeit. Ich habe leider den Eindruck, dass wir in Deutschland mehr demonstrierfreudige Verdränger haben als andere europäische Länder. Schade.

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