Die sogenannten „alternativen“ oder „komplementären“ Heilverfahren und Heilmittel sind heute in aller Munde. Das legt den Eindruck nahe, als wenn sie gewissermaßen gleichwertig neben der sogenannten „Schulmedizin“ einen Platz in der Krebstherapie beanspruchen können.

Dies ist in meinen Augen eine Täuschung! Diese Täuschung wiederum resultiert aus Faktoren, die gar nicht primär mit der Medizin zu tun haben, weder mit der Schulmedizin noch mit der Alternativmedizin. Vielmehr ergibt sich diese Täuschung aus Faktoren, die den Medien und ihrem Funktionieren geschuldet sind! Das wird leider viel zu wenig beachtet und bedacht. Obgleich Medien in der modernen Gesellschaft eine absolut dominierende Rolle haben, sind wir weit davon entfernt, eine medienkritische Haltung als Kompetenz von „Otto Normalverbraucher“ voraussetzen zu können.

In der heutigen Zeit mit ihrer extrem vielfältigen und untereinander konkurrierenden „Medienlandschaft“ sind die Medien mehr denn je auf Schlagzeilen angewiesen, die Aufmerksamkeit finden (und ggf. Klicks auslösen) . Dazu gehören naturgemäß dann auch Nachrichten über vermeintliche Heilung bei Krankheiten, bei denen die sogenannte Schulmedizin nicht weiter kommt oder angeblich mehr Schaden als Nutzen bringt. Entscheidend ist dann, ob diese Nachrichten glaubwürdig sind! Das bemisst sich (bei einer medienkritischen Haltung) am Ende nicht an der ergreifenden und vermeintlich authentischen „Geschichte“ einer einzelnen Person, sondern daran, ob diese Effekte einer Überprüfung standhalten. Zudem finden sich Außenseiter in jedem Fachgebiet. Diese Personen erfüllen schon durch ihre Außenseiterposition ein zentrales Bedürfnis der Medien, nämlich aufzufallen. Die Folge ist, dass medizinische Außenseitermeinungen vollkommen unverhältnismäßig stark (überproportional) in den Medien zu Wort kommen und so ein stark verzerrtes Bild entsteht. Dasselbe Problem ergibt sich übrigens auch für andere (Lebens-) Bereiche, etwa die Wahrnehmung von Risiken (Kernkraft, Elektrosmog usw.), weshalb diese Verzerrung eben nicht spezifisch für die Medizin ist, sondern mehr mit den Medien und ihrem (oftmals nicht durchschauten und nicht bedachten) Funktionieren zu tun hat.

Wer „nach jedem Strohhalm greifen“ muss, weil die eigene Lage so verzweifelt ist, der ist zudem nicht sonderlich gewillt, mit großer Skepsis und (Medien-) Kritik zu Werke zu gehen. In so einer Lage erscheint alles, was zu helfen scheint, unbedingt willkommen. Das aber macht den krebskranken Menschen und seine Angehörigen leicht zu einem Opfer von Versprechungen. Diese Versprechungen müssen gar nicht einmal arglistig sein, also Geschäftsinteresse statt Patientenwohl im Blick haben. Gleichwohl ist genau dies leider durchaus nicht so selten der Fall (siehe zum Beispiel hier). Jenseits arglistiger Täuschung sind viele Anbieter diverser Verfahren und vermeintlicher Heilmittel sicher ehrlich von dem Nutzen ihrer Produkte überzeugt, ebenso wie die in den Medien potentiell als verrucht dargestellte Pharmaindustrie von ihren Produkten überzeugt ist. Der kaum zu überschätzende Unterschied ist allerdings, dass die Pharmaindustrie ihre auf den Markt gebrachten Produkte einer öffentlichen und sorgfältig ausgearbeiteten Überprüfung unterziehen muss! (Selbst das schließt bekanntlich nicht aus, dass es immer wieder zu auch gravierenden Behandlungskomplikationen und Todesfällen kommt). Im Bereich der alternativen und komplementären Medizin gibt es eine solche systematische Überprüfung nicht, obwohl diese gewissermaßen als Schutzwall gegen potentiell lebensgefährliche Schäden und Eingriffe wirksam werden könnte und müsste.

Dr. med. Jutta Hübner, Professorin für Integrative Onkologie an der Medizinischen Universität Jena, hat sich der Überprüfung solcher Methoden und Mittel der Alternativ- und Komplementärmedizin verschrieben. Sie sagte in einem Interview des Deutschlandfunks zu der Frage, inwiefern der Patient vor Scharlatanerie und vor ernsthaften Schäden durch eine Behandlung beim Heilpraktiker geschützt sei: „Was zwischen dem Heilpraktiker und dem Patienten ist, das ist eine private Rechtsbeziehung, letztendlich. Und wenn der Patient einwilligt, dass er damit einverstanden ist, dann kann der Heilpraktiker praktisch alles machen. Ich könnte Ihnen jetzt eine Infusion mit Benzin anlegen. Wenn Sie das unterschreiben, bin ich da völlig safe, das ist alles in Ordnung“!

Es gibt im Bereich der alternativen und komplementären Medizin wie gesagt keine systematische Überprüfung. In den Medien, die auch eine Kontrollfunktion übernehmen (könnten oder sollten), gibt es zu allem Überfluss auch noch eine systematische „Bevorzugung“ von unglaublichen und oft genug auch falschen Geschichten, die nur deshalb zur Schlagzeile werden, weil das für Aufmerksamkeit sorgt, die in den Medien gewissermaßen als „Währung“ gilt.

Weil also Sicherheit und Verlässlichkeit für den Patienten in diesem Bereich der vermeintlich patientenfreundlichen Medizin in Wahrheit gar nicht gewährleistet sind, kommt verlässlichen und gut überprüften Angaben zu diversen Therapieansätzen, Heilmitteln und Verfahren eine umso größere Bedeutung zu. Es ist auch hier entscheidend wichtig, „die Spreu vom Weizen zu trennen“. Das kann auch bedeuten, dass man bei solcher kritischen Überprüfung tatsächlich eine Wirkung feststellt. Diese muss dann aber nicht unbedingt dem entsprechen, was die Hersteller oder Vertreiber versprechen (in der Regel nämlich „Heilung“, mindestens aber „Bekämpfung“ des Krebs). Stattdessen stellt man vielleicht fest, dass sich die Wirkung auf etwas Anderes bezieht, das womöglich viel weniger spektakulär ist (und den hohen Preis dann vielleicht nicht wert ist, den man für solche vermeintlich wirksamen Mittel und Methoden oftmals bezahlen soll). So geschehen etwa bei der populären Misteltherapie. Denn die hat sich in systematischen Überprüfungen nicht als wirksam gezeigt, jedenfalls nicht hinsichtlich der Bekämpfung und Kontrolle von Krebs! Allenfalls feststellbare Wirkungen der Misteltherapie betrafen die bessere Bekömmlichkeit der (schulmedizinischen) Chemotherapie und eine höhere Lebensqualität des Patienten (Stand August 2017) – aber selbst das ist nicht unumstritten. Wohlgemerkt: wenn es so wäre, wäre es nicht nichts! Denn eine bessere Bekömmlichkeit oder eine höhere Lebensqualität können ja absolut ausreichende und überzeugende Gründe sein, diese Therapie bei sich anzuwenden. Aber man sollte wissen, wofür man das tut, also  dass man im eben genannten Beispiel der Misteltherapie dann nicht damit rechnen darf, es hätte irgendeine ernsthafte Auswirkung auf das eigentliche Tumorleiden. Glaubwürdige Informationen über sogenannte alternative und komplementäre Methoden und Mittel sind also so nötig wie nie zuvor, gerade weil deren weite Verbreitung die (überwiegend falsche) Annahme nahelegt, es handele sich um Bewährtes und um Wirksames.