Ketogene Diät ist eine extrem fettreiche und kohlenhydratarme Diät, deren Ziel es ist, unter einer isokalorischen Energieaufnahme den Zustand des Fastens metabolisch zu imitieren. Während beim tatsächlichen Fasten die Ketonkörper (als Ersatzlieferanten der Energie) dem eigenen Körper entnommen werden, werden diese unter der ketogenen Diät aus dem (sehr hohen) Fettanteil der aufgenommenen Nahrung gebildet. Die „Logik“ der ketogenen Diät bei Krebs besagt, dass die Umstellung des Körpers auf (imitiertes) Fasten den Wachstumsprozess des Tumors behindert und so eine Wirksamkeit gegen den Tumorprogress entfaltet.
In der Septemberausgabe der Zeitschrift FORUM ist 2020 ein lesenswerter Beitrag von Eva Kerschbaum und Mitarbeitern erschienen, der allen in der Beratung von Krebspatienten Tätigen sicher von Nutzen sein wird, vor allem vermutlich den Ärztinnen und Ärzten. Diese werden wohl am häufigsten von ihren Patienten auf das Thema „Krebs und Ernährung“ angesprochen.
Ein solches Ansprechen zeigt immer an, dass die nachfragende Person ein Bedürfnis hat, selbst etwas gegen die Krebserkrankung bzw. für die eigene Gesundung und das Wohlbefinden zu tun. Mit Recht betonen die Autoren, dass es unbesehen der objektiven Vernünftigkeit des jeweiligen Handlungsimpulses wichtig sei, dieses Bedürfnis des Patienten wahrzunehmen und zu würdigen. Letzteres ist aber immer dann schwierig, wenn die auf Ernährung bezogenen Ideen und Vorschläge des Patienten sachlich nicht nur nutzlos, sondern potentiell schädlich sind. Hier komme es dann leicht dazu, dass die Schädlichkeit des Vorhabens beim Arzt zu einer raschen abschlägigen Rückmeldung führt. Dabei unterbleibt dann die Würdigung des in der Idee enthaltenen Impulses. Das wiederum erzeugt Widerstand, oder kann diesen zumindest wecken, den man in der psychologischen Fachwelt insbesondere in der Sozialpsychologie schon vor Jahrzehnten unter dem Begriff der Reaktanz gründlich untersucht hat. Hinlänglich bekannt ist aus zahllosen Studien, dass Reaktanz sich unter anderem in der Aufwertung der Attraktivität eben jener Wahlmöglichkeit niederschlägt, die einem gerade streitig gemacht wird. In der Beratung befindet man sich also mitunter in der schwierigen Situation, einem Patienten etwas „auszureden“, ohne dabei Reaktanz zu wecken und damit die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass der Patient das Gegenteil von dem macht, was man eigentlich intendiert bzw. empfohlen hat.
Der Fachbeitrag von Kerschbaum und Mitarbeitern erläutert in kompakter Weise, weshalb die ketogene Diät bei Krebs keine gute Idee (sondern sogar potentiell schädlich) ist: die „Antitumorwirkung“ sei bislang nicht überzeugend belegt worden, die Diät selbst sei so schwer umzusetzen, dass sie sogar bei den Krankheiten von den Patienten kaum angemessen durchgehalten wird, für die die Diät tatsächlich gedacht und angezeigt ist, und zudem habe sie beachtliche Nebenwirkungen. Deren wichtigste, nämlich ein unbeabsichtigter Gewichtsverlust, ist „eine der schlimmsten möglichen unerwünschten Wirkungen“ für die Krebspatienten, insofern Gewichtsverlust u.a. mit einer schlechteren Prognose verbunden sei (a.a.O., S. 276).
Der Beitrag überzeugt auch durch eine sehr alltagsnahe Erläuterung von möglichen Antworten des Beraters auf unterschiedliche, in der Praxis immer wieder anzutreffende Argumente seitens der Patienten (im Artikel Tabelle 1, Seite 277f). Diese zu beherzigen, sei allen dringend empfohlen, denn Reaktanz im Sinne einer Attraktivitätsaufwertung ketogener Diät aus der Sicht des Patienten ist sicher nichts, was wir uns in der Onkologie wünschen und leisten sollten.
Links für Krebspatienten, unter denen im Internet fundierte Informationen zu Ernährung bei Krebs zu erhalten sind, runden das Bild ab und machen den Beitrag zu einem schönen Beispiel für die Nützlichkeit interdisziplinärer, multiprofessioneller Arbeit in der Onkologie.
Das stimmt wohl. Aber es ist eben nicht leicht, sich hier klug zu verhalten. Und sich darüber sogar zu freuen, wäre sicher eine Übung für Fortgeschrittene…
Das Problem Reaktanz wird in der Medizin permanent übersehen oder unterschätzt, sowohl beim Hausarzt als auch in der Psychiatrie, wo ich mich auskenne. Und dann wundern sich die Kollegen, warum die Patienten nicht das machen, was sie ihnen empfohlen haben… Dabei sollten wir uns doch freuen, wenn der Patient auch seinen eigenen Kopf in die Behandlung einbringt und sich nicht verhält wie ein passiver, zu reparierender Gegenstand.