Im Herder Verlag ist soeben ein von Rocco Thiede zusammen mit der Deutschen Krebshilfe herausgegebenes Buch zum Krebs erschienen, das anhand von 11 Reportagen das eigentlich triviale, aber in der Praxis immer wieder übersehene Thema illustriert, dass Krebs niemals nur die daran erkrankte Person betrifft. Es sind immer auch weitere Personen mittelbar betroffen, abhängig von dem Geflecht der persönlichen Beziehungen, in dem die erkrankte Person lebt. Dies ist zumeist die Partnerschaft und oder die Familie.

Dass Angehörige eines an Krebs erkrankten Menschen als tatkräftige und als mitfühlende Helfer eine mitunter herausragende Rolle in dem spielen, was der Begriff der „Krankheitsbewältigung“ mehr verdeckt als erklärt, kann sich jeder leicht vorstellen. Dennoch oder gerade deshalb ist es auch wichtig, aus dem grundsätzlich Vorstellbaren zum konkret Berichteten und Angeschauten voranzuschreiten. Mit den 11 Geschichten in diesem Buch ist genau dies der Fall. Die um reale Schicksale erstellten Reportagen illustrieren ganz unterschiedliche Facetten dieser Betroffenheit und Beteiligung von solchen mittelbar betroffenen Personen, deren Situation und Leid dadurch (zu Recht) ins Blickfeld unserer Aufmerksamkeit gerückt wird.

Im Anschluss an diese Reportagen wird noch ein aufgezeichnetes Expertengespräch zum Thema abgedruckt, in dem es also um Krebs, das Leiden an und Leben mit Krebs, die Angehörigen und ihr oft verborgenes Leid, und manche weitere Aspekte geht. An diesem Gespräch nahm auch der hinlänglich bekannte Epidemiologe und Sozialmediziner Prof. Dr. Karl Lauterbach teil. 

Von ihm stammt der folgende Kommentar, den ich als eine besonders wichtige Passage empfand: „Die Krebserkrankungen werden eine zentrale Rolle nicht nur für unsere Krankenhausversorgung, sondern auch für die Menschlichkeit unseres Gesundheitssystems allgemein spielen. Wenn wir hier versagen, versagen wir auch in allen anderen Bereichen. Es gibt keine Krankheit, die so viele Patienten so unvermittelt und hart trifft. Es wird stark darauf ankommen, ob wir die Krebsversorgung als eine humanitäre Aufgabe für eine solidarische Gesellschaft angehen oder als ein großes neues Geschäft. Letzteres ist leider in den Vereinigten Staaten geschehen. Und ich habe große Sorge, dass es auch in Deutschland so sein könnte. Daher ist auch eine offene Diskussion über die optimalen Strukturen notwendig. Wir müssen einsehen, dass die Krebsversorgung qualitativ sehr stark von Expertise, Erfahrung und hoch qualifiziertem Personal abhängig ist. Daher ist eine starke Zentralisierung in diesem Bereich leider unumgänglich. Das ist keine Leistung, die flächendeckend in fast jedem Krankenhaus geleistet werden kann oder geleistet werden sollte. Was aber überall angeboten werden muss, ist die Unterstützung der Patienten. Zum Beispiel durch eine erstklassige Nachsorge vor Ort, eine flächendeckende, gut durchfinanzierte, verfügbare Psychoonkologie und die Unterstützung der Angehörigen auch durch soziale Dienste.“ (a.a.O., S. 267f; Hervorhebungen von GU)

Wenn es etwas zu bemängeln gibt an diesem Buch, dann ist es die unterschwellige ‚politische‘ Ausrichtung, hier verstanden nicht als parteipolitische Ausrichtung, sondern als ein durchsichtig werdendes Interesse. Dieses richtet sich zwar mit Recht und im besten Sinne darauf, mehr Geld für die Versorgung von Angehörigen sowie entsprechend bessere Hilfsstrukturen einzufordern. Zugleich wird aber mit dieser Fokussierung auch ein ‚schiefes‘ Gemälde gemalt, das besonders klar in dem zum Buch gehörigen Flyer zum Ausdruck kommt. Dort wird die oben genannte und durch die Reportagen beschriebene Erkenntnis der Mitbetroffenheit umgemüntzt dazu, dass gleich auch die Familie zum Patient erklärt wird. 
Die Würdigung der Leistung von oft im Hintergrund bleibenden Angehörigen und anderen Dritten wird aber nicht dadurch betrieben, dass man sie in zu therapierende Mitpatienten verwandelt.

Wenn es schon um die (bessere) Versorgung der mittelbar betroffenen Partner oder Familienangehörigen gehen soll, wie es in dem „Expertengespräch“ am Ende des Buchs offenbar wird, hätte man sich auch gewünscht, dass nicht nur auf die Wichtigkeit der Psychoonkologie und den Ausbau von Krebsberatungsstellen verwiesen wird, sondern auch darauf, dass wir bereits jetzt über das ganze Land verteilte Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen haben. Die können zwar nicht dieselbe spezifische Kompetenz vorweisen, wie es von Krebsberatungsstellen wohl erwartet werden kann. Aber dass sich an solche vorhandenen Strukturen auch hoch belastete Angehörige wenden können (und dass sie dort womöglich eine angemessenere Hilfe finden werden, als bei den notorisch Wartezeiten vor sich her schiebenden, und auf Therapie statt auf Beratung fokussierten niedergelassenen Psychotherapeuten), das hätte man dort gerne noch gelesen. Es war aber vielleicht politisch nicht opportun, wo es derzeit gerade um den Ausbau der Krebsberatungsstellen geht.

Für den interessierten Laien gilt als Fazit: eine Neuerscheinung, die mit den verschiedenartigen Geschichten allemal in der Lage ist anschaulich zu machen, was es alles heißt oder heißen kann, wenn eine nahestehende Person an Krebs erkrankt ist. Das mag bei manchen Lesern dann das selbst Durchgemachte bestätigen, bei anderen wird es die Konturen aufscheinen lassen für etwas, was man für sich und den erkrankten Angehörigen für die Zukunft befürchtet. In der einen wie anderen Weise etwas Lohnendes, was der „Krankheitsbewältigung“ zuträglich sein sollte.