Wegen Corona wurde im letzten Jahr erstmalig der interdisziplinäre Kongress „Quality of Cancer Care“ (Qualität der Krebsbehandlung) bloß digital durchgeführt, den die Deutsche Krebsgesellschaft sowie die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumorzentren alljährlich ausrichten. Auf diesem Kongress wurde von einer Arbeitsgruppe der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Städtischen Krankenhaus Dresden-Friedrichstadt eine bedeutsame Auswertung vorgestellt. Über diese soll nachfolgend zusammenfassend berichtet werden.

Die Dresdener Mediziner konnten in dieser Studie wichtige Belege erbringen für die zwar naheliegende, aber nicht leicht zu beweisende Annahme, dass eine Zentralisierung der Krebsbehandlung auch tatsächlich einen durchschlagenden Effekt auf die Qualität der resultierenden Behandlung hat. Wesentlicher Hebel der Zentralisierung (und Standardisierung) der Krebsmedizin ist die sogenannte Zertifizierung und Spezialisierung von Krebszentren. Mit Hilfe der Zertifizierung soll die Behandlung von Krebspatienten Zug um Zug nur noch von solchen Zentren erfolgen und abgerechnet werden, die die Kriterien der Zertifizierung erfüllen. Dazu gehören unter anderem, eine bestimmte Mindestmenge an einschlägigen Eingriffen vorzunehmen, über ein bestimmtes Sortiment an Therapiemaßnahmen und fachkundigem Personal zu verfügen usw. (weitergehende Informationen zur Zertifizierung in der Krebsmedizin findet man hier).

Mit Recht weisen die Dresdener Mediziner darauf hin, dass ein Nachweis für den Nutzen einer solchen Zentralisierung nur schwer zu erbringen ist, wenn gar keine Daten über Behandlungsergebnisse vorliegen, die im selben Zentrum vor der Einführung der Zertifizierung erzielt wurden.

Hier liegt die besondere Stärke der Dresdener Studie, die nämlich auf nahezu lückenlose Daten seit 1981 (!) zugreifen konnte. Damit eröffnete sich die Chance, die nach der Einführung der Zertifizierung durchgeführten Krebsbehandlungen (hier allesamt zum Darmkrebs, genauer zum Rektumkarzinom) mit einer vergleichbar großen Anzahl von Patienten zu kontrastieren, die vor der Einführung dieser Zertifizierung im selben Zentrum behandelt wurden. Zum Vergleich herangezogen wurden vorher definierte Qualitätsindikatoren, also Behandlungsergebnisse, an denen man im Vorfeld die gute Qualität einer Behandlung meinte ablesen zu können.

Insgesamt wurden 19 vordefinierte Qualitätsindikatoren an 1059 Patienten überprüft, von denen 587 im Zeitraum 2000 bis 2008 behandelt wurden, nämlich vor der Zertifizierung, und 481 Patienten in der Periode danach (2009-2017).

Von den zahlreichen Unterschieden, die die Autoren ermitteln konnten, seien hier nur einige herausgehoben. So reduzierte sich die Rate von Anastomoseinsuffizienzen, also Problemen beim Zusammenwachsen von inneren Operationsnähten, deutlich von 22% vor der Einführung auf 13,5% nach Einführung der Zertifizierung. Auch bei Rezidiven, also dem erneuten Auftreten eines Darmkrebs (in einem Zeitintervall von 5 Jahren), zeigten sich nach der Zertifizierung günstigere Ergebnisse. Bei den vor 2009 behandelten Patienten war der Krebs bei knapp 18% erneut aufgetreten. Nach Einführung der Zertifizierung war diese Rate auf nur noch bei knapp 8% gesunken!

Die Dresdener Mediziner, die mit dieser Studie gewissermaßen auch die Früchte ernten von einer sehr langfristigen, schon in den 1980er Jahren begonnenen chirurgischen Selbstkontrolle (durch kontinuierliche Erfassung der eigenen Behandlungsergebnisse), formulieren als Fazit: „Der formelle Zertifizierungsprozess hat daher das Potential, die Qualität der Versorgung von Patienten mit Rektumkarzinom zu verbessern“ (S. 94)

Mein Kommentar: Begriffe wie „Zentralisierung“ oder gar „Standardisierung“ sind zumal für die Medizin in der allgemeinen Öffentlichkeit sicher nicht wohl gelitten. Viel besser klingt allemal die Vorstellung einer „maßgeschneiderten“ Medizin, in der die Ärzte ihr Tun auf den individuellen Patienten abstimmen und dieser im Idealfall das örtliche Krankenhaus aufsuchen kann, anstelle eines womöglich in der Ferne gelegenen Großkrankenhauses, in dem man als „Nummer“ unterzugehen droht. Umso wichtiger ist es, mit solchen Daten aufzuzeigen, dass die Krebsmedizin mit der systematischen Ausrichtung der klinischen Versorgung an überprüften Standards den Weg in eine bessere Zukunft für die Patienten gewiesen hat. Denn für Patienten steht allemal an erster Stelle, den Eingriff gut zu überstehen (indem z.B. die Nähte alle gut halten), und vor allem, dass der Krebs nicht wieder auftaucht!
Dass Standardisierung nicht im Widerspruch stehen muss zu dem Eindruck des Patienten, „als Mensch“ bzw. als Individuum behandelt zu werden, steht für mich als einem in der Medizin arbeitenden Psychologe außer Frage. Das wäre aber Stoff für einen eigenen Beitrag.

Quelle: Stelzner, Jacob, Albert, Jackisch, Jakob, Sims, Witzigmann & Mees: Assoziation von Zentrumszertifizierung, verbesserter Qualität und besserem onkologischen Ergebnissen beim Rektumkarzinom in einem spezialisierten kolorektalen Bereich. Forum Krebsmedizin, 2021, Heft 1, S. 94.